Narcopolis
gestehen, nichts Besonderes ist. Und warum sollte ich das nicht sagen? Das Entscheidende bei Tagore ist doch, dass in seinem Fall die Summe mehr bedeutet als alle Teile. Es ist der Mann als Ganzes, auf den es ankommt. Aber Tagore der Mystiker und Poet? Tagore der Maler? Tagore der Komponist? Nicht einer dieser Tagores ist für sich genommen etwas Außergewöhnliches.
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Der alte Mann saß am Kochtopf und nahm die Dämpfe wie durch Osmose in sich auf. Sobald er Rashid sah, erhob er sich, um für seinen Boss eine Pyali zuzubereiten. Draußen strahlte hell die Mittagssonne, und Rashid konnte nebenan den Balkon von Khalids Haus sehen, das alte Eisengeländer und die abblätternde grüne Farbe der Wände. Sie wollten sich heute treffen, Khalid und er, nach dem Essen, was letztlich irgendwann vor dem Abendgebet hieß. Rashid griff nach der Zeitung und setzte die Brille auf, konnte sich aber nicht auf die Worte konzentrieren. Er war immer noch durcheinander von dem Ärger, der ihn gepackt hatte. Er legte die Zeitung beiseite und bereitete eine Line Kokain vor. Plötzlich ging es im Raum geschäftig zu, zwei Lampen wurden angezündet, der Topf brodelte im gefliesten Waschbereich am Eingang, und Dimple kümmerte sich um seine Pfeife, während Bengali seine Pyali auf ein Tablett stellte.
Chal, chal, sagte Rashid, Beeilung, Schluss mit diesem Randi Baazi, wenn ich auf meine Pfeife warte. Dimple schien ihn nicht zu hören, tunkte eine Stricknadel in eine Pyali und kochte das Opium zu weichem, schwarzem Geblubber auf. Dann pochte sie an den Pfeifenschaft, und Rashid langte nach der Pfeife. Er rauchte im Schneidersitz, scherte sich nicht um die geläufige Haltung, bei der man auf dem Rücken lag, mit angewinkelten und auseinandergeklappten Beinen. Er war Geschäftsmann, ein Vater, er würde seine Beine nicht für alle Welt öffnen. Rashid nahm einen tiefen Zug, und eine Rauchwolke stieg aus seiner Nase auf, verhüllte das Gesicht. Dann nahm er noch einen Zug, nur kam diesmal kein Rauch; er verschluckte ihn. Es war erst kurz vor Mittag, die Khana aber schon dunkel, in eine Art permanenten Halbschatten getaucht. Der Raum brachte die Kunden dazu, im Flüsterton zu reden, als hielten sie sich an einem Ort der Anbetung und Verehrung auf, was in seinen Augen durchaus stimmte. Schon jetzt gab es Zeiten, da spürte er sie entgleiten, diese Lebensweise, die vor seinen Augen verschwand, die Pfeifen, die von vielen Jahren Gebrauch mit schwarzen Rückständen überzogenen Öllampen, die Gespräche, die irgendwer begann, um dann das Interesse daran zu verlieren, all diese Rituale, die er befolgte und so sehr schätzte, all das war dabei zu verschwinden.
3 Geschäftspraktiken der kriminellen Klasse: Ein Angebot
Khalid kam, als Rashid aus den über den Boden verteilten Edelstahldabbas sein Mittagessen löffelte. Das von oben heiß gebrachte Essen wurde um eine Portion Fisch aus dem Delhi Darbar und einen Stapel Tandoori Rotis ergänzt, um gebratenes Bheja und Lassi, dickflüssig, kein Schaum, oben drauf ein Klacks fester Rahm. Er liebte Bheja und Fisch, das Bheja von einer Konsistenz wie Rührei, nur ein bisschen kross, so dass es im Mund zerbarst. Dariya, seine ältere Frau, hatte versucht, es daheim zu machen, aber sie bekam es nicht so gut hin, wie es dem Koch im Delhi Darbar jedes Mal mühelos zu gelingen schien. Sie hatte ihm Biryani geschickt, das Lamm mit dem Reis gekocht, nicht separat, dazu Schüsseln mit frischen Zwiebeln und Gurken sowie gebratenes Daal mit Knoblauch, auf dem ein Ölfilm schwamm. Er aß Biryani nur mit Lamm, kaufte das Fleisch selbst dreimal in der Woche. Weil er es sich leisten konnte, aß er jeden Tag Fleisch, oft zweimal am Tag, manchmal auch Lamm und Hühnchen. Er saß mit überkreuzten Beinen da, die Hände mit Reis und Masala verschmiert, machte sich über die zweite Schale Biryani her und lud seinen Nachbarn ein, zuzulangen, doch Khalid lehnte ab, wie er es immer tat, lehnte es sogar ab, das Essen auch nur zu probieren. Was nicht nur unmuslimisch, sondern auch ziemlich unhöflich war. Rashid dachte: So machen wir das. Wir essen zusammen aus denselben Schüsseln. Auf diese Weise erinnern wir uns daran, dass wir Brüder sind. Er bedeutete Khalid, sich zu setzen. Er hatte sowieso keine große Lust, sein Essen zu teilen, und er wollte sich Zeit lassen mit dem Lassi, das er, wie einen Nachtisch, immer zuletzt trank. Doch Khalids Anwesenheit in der Khana nahm ihm die Lust am Essen. Es kostete einige
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