Narcopolis
reden?«
»Die Kunden hören ihr gern zu.«
»Der Koran sagt, Frauen haben in einer Versammlung von Männern zu schweigen. Es ist ihnen nicht gestattet zu sprechen. Dies ist ein Chandu-Khana, aber auch eine Versammlung von Männern. Sag ihr das.«
»Sag es ihr selbst, da sitzt sie.«
Khalid aber wollte nicht einmal in ihre Richtung schauen.
»Kaam«, sagte Bengali wie zu sich, »heißt auf Hindi Arbeit, auf Sanskrit aber Verlangen oder Lust. Kaamvali hat folglich eine Doppelbedeutung, was diesem Gentleman zweifellos bewusst ist.«
•••
Rashid bat darum, der Bettlerin mit der modischen Frisur, die immer noch auf dem Bürgersteig an der Kreuzung Shuklaji Street und Arab Gully hockte und ihren Salvar stopfte, Tee und Marie-Kekse zu bringen. Im Moment hockte sie nicht auf dem Müll. Ihm ging auf, dass sie den Abfallhaufen als Toilette nutzte, den Bürgersteig als ihr Wohnzimmer. Er hörte, wie Khalid davon sprach, neue Einnahmequellen erschließen zu müssen, von der Notwendigkeit, die Kundenbasis zu erweitern, wenn man sich im Geschäft behaupten wolle. Er redete, um sein Gesicht zu wahren. Rashid sah zu, wie ein Junge aus dem Teeladen unten der Frau ein Glas Milchtee und einen Teller Kekse brachte. Sie saß vor dem geschlossenen Delite Restaurant auf dem metallenen Vordach, das jetzt schon seit Monaten verbogen auf der Straße lag, nippte an dem Glas, den kleinen Finger in die Luft gereckt, und aß die Kekse, einen nach dem anderen, tunkte sie anmutig in den Tee und steckte sie sich dann erst in den Mund. Sie lächelte.
4 Sari und Burka
Sie zog in Rashids Khana, in das Zimmer auf halber Treppe. Das Stockwerk darüber, in dem die Familie lebte, betrat sie nie. Hin und wieder traf man sich allerdings auf der Treppe oder auf der Straße, und Dimple begriff, dass Jamal, Rashids Ältester, ihr Feind war. Rashids Frauen gaben sich freundlicher, redeten aber trotzdem kein Wort mit ihr. Nur Rashid schien das nicht zu berühren. Anlässlich ihrer neuen Stellung gab er ihr einen neuen Namen, Zeenat, und brachte ihr eine Burka. Er saß im einzigen Sessel, nippte an seinem Morgenwhisky und musterte sie durch den Rauch seiner Zigarette. Nicht gut, sagte er. Siehst du, wie pummelig du darin aussiehst? Zieh den Kamiz aus, lass den Salvar an. Sie zog das bedruckte Oberteil aus und streifte sich erneut die Burka über. Er sah ihr zu, den Arm auf die Rückenlehne gestützt. Dann nickte er und führte sie vor den Spiegel. Sie sah, wie sich der schimmernde, schwarze Stoff an ihren Körper schmiegte. Wie viel er doch erkennen lässt, dachte sie, sah sich an und wisperte: Zeenat. Nach einer Weile bat Rashid sie, auch den Salvar auszuziehen, und nun ruhte die Burka seidig auf ihrer Haut. Das gefiel ihm so gut, dass er mit ihr Taxi fahren wollte; sie sollte hinten sitzen und die Aussicht genießen, und nur sie beide würden wissen, dass sie unter der Burka nackt war. Nein, sagte Dimple, nein, niemals. Doch sie hatte ihren Spaß.
•••
Sie hörte nicht auf, Saris zu tragen, die ihre Beine bedeckten und den Bauch frei ließen, jene intime Stelle entblößten, die nur der Liebhaber oder Ehemann sehen sollte. Sie hatte gelernt, den Unterrock tief auf der Hüfte zu tragen, sich zufällig absichtlich vorzubeugen und das Pallu ein wenig verrutschen zu lassen. Sie bewunderte, wie die Frauen den Sari zu nutzen wussten, wie sie ihn ohne Unterwäsche trugen, darin schliefen, badeten, ihn als Handtuch gebrauchten oder als Decke, wie bequem es war, ihn einfach zu lüpfen, wenn man pinkeln oder einen Kunden bedienen wollte. Als sie sich aber im Spiegel sah, wurde ihr klar, wie anders eine Burka war. Sie bot weniger Möglichkeiten. Nur das Gesicht konnte man sehen, nur die Füße und Hände, und da alles Übrige bedeckt war, wurde ein Blick auf Auge oder Mund so wirksam und so mächtig. Und diese Schwärze, die dunklen Farbabstufungen, die Art, wie der Stoff ganz anders über Brüste und Hüfte fiel. Dimple staunte über die Männer, die so eine Bekleidung erfunden hatten. Wie sehr mussten sie das eigene Verlangen fürchten. Wer wollte, dass eine Frau ein solches Kleidungsstück trug, der kannte die Gefahr, die Blicke bargen. Der kannte sie und die eigene Machtlosigkeit, weshalb er ein Gewand ersann, das die Ursache der eigenen Scham bedeckte. Und so strafte ihn die Burka erst recht. Sie bewirkte, dass man sich das Auge herausreißen wollte, herausreißen und halten, pulsierend und sehnig in der Hand, um es dann als unangemessenes Pfand
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