Narcopolis
Die Augen waren weit aufgerissen, als würde sie um etwas betteln, jemand Unversöhnlichen oder Gnadenlosen anflehen, jemanden, der nie vergeben oder ihre Fehler vergessen konnte. Instinktiv wollte er sich entschuldigen, er wusste nur nicht, wofür. Im Neonlicht schien sie bloß aus Haut und Knochen zu bestehen, eingehüllt in schwarzes Tuch, das sich wie die Segel eines Schiffes blähte. Was für ein Schiff? Ein arabisches, sagte sich Bengali, eine Dhau, ein Geisterschiff, dessen Besatzung selten an Deck kam, da sie doppelt so schwer wie die Lebenden schuften musste. Ihre Haut hatte einen bläulichen Ton, das Gesicht wirkte wie in Stein gemeißelt. Sie starrte ohne zu blinzeln hinauf, und woran er sich später am deutlichsten erinnern sollte, das war der Blick in ihren Augen. Kein Licht schimmerte darin; sie reflektierten nicht einmal das Licht der Straßenlaternen. Er dachte: Dies ist eine Frau, die den Tod kennt. Sie hat ihn probiert und ist auf den Geschmack gekommen. Der Gedanke erschreckte ihn, und er ging an ihr vorbei, ohne stehen zu bleiben.
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Dimple löste das Problem mit Khalid, ohne es vorgehabt zu haben oder auch nur zu wissen, was sie tat. Salim besuchte sie in der Arab Gully, in einem Raum, der so klein war, dass man ihn keine Khana nennen konnte. Das Loch war schrankgroß, kleiner als die Zimmer im 007 , und es blieb kaum genügend Platz, um sich beim Rauchen lang auszustrecken. Außerdem gab es nur eine Pfeife, die gerade von Rashid geraucht wurde. Salim musste mit zwei anderen Männern auf der Straße warten, während die O-Sucht in ihm wuchs und wuchs. Drinnen konnte er mit Dimple nicht offen reden, da es alle mitbekamen, aber an diesem Tag gab es ohnehin nur ein Gesprächsthema. Salim hörte ungewollt zu und fragte dann, woher sie denn wussten, dass es Khalid war, der die Khana schließen ließ. Wäre es nicht auch möglich, dass die Leute vom Zoll ihre eigenen Gründe gehabt hatten? Rashid setzte die Pfeife ab und holte so tief Luft, als wollte er eine öffentliche Rede halten. Salim, ich bin Geschäftsmann, ich kenne mich damit aus. Du kennst dich mit Brieftaschen aus, damit, wie man sie so klaut, dass es keiner merkt. Khalid hat schon immer mein Geschäft gewollt. Das weiß ich. Und ich weiß es so sicher, wie du weißt, wie viel du für Lalas Kokain verlangen musst. Dann sagte Dimple: Natürlich war es Khalid. Ich habe ihn mit dem Bhadwa vom Zoll beim Bhai-Bhai gesehen. Er ist erst zufrieden, wenn ihm dein Geschäft gehört; dann wird er den doppelten Preis verlangen und das Opium strecken, bis die Wirkung nur noch beschissen ist.
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Später reimten sie sich die Einzelheiten aus verschiedenen mehr oder weniger verlässlichen Quellen der Straße zusammen. Man hatte Salim gesehen, wie er mit zwei Freunden in Khalids Laden ging, mit Kaanya, dem Spitzel, und Pasina, dem genialen Taschendieb. Sie warteten, bis Khalid allein war, warfen ihn zu Boden und fesselten seine Hände. Dann trichterten sie ihm gewaltsam zwei Pyali Opium ein, das mit heißem Wasser vermischt war. Khalid war kein Raucher; die Mixtur wirkte ziemlich schnell.
»Weißt du, was wir mit einem wie dir machen?«, sagte Salim. »Wir gehen spazieren.«
»Machen einen langen Spaziergang. Bis Pydhonie oder Dongri oder aber, wenn’s schnell gehen soll, zur Grant Road Junction«, sagte Kaanya.
»Wir lassen dich auf der Straße liegen«, sagte Pasina und lachte mit offenem Mund, Zahnfleisch und Lippen leuchtendrot vor dunkel körniger Haut.
»Spät abends, okay? Damit wir ganz allein sind«, sagte Salim.
»Genau, spät abends. Dann bleibste eine Weile liegen, kannst nach oben sehen, die Sterne genießen oder die Wolken, kannst sehen, ob es bald regnet. Stimmt doch, nicht?«, sagte Pasina.
»Bilkul«, sagte Kaanya. »Stimmt hundert Pro.«
»Und dann, wenn du’s dir hübsch bequem gemacht hast, holen wir ein paar Steine, davon gibt’s jede Menge unter der Grant Road Bridge, und die häufen wir dann auf deinen Kopf«, sagte Salim.
»Keine Angst, Miya, ist völlig halal«, sagte Pasina.
»Sogar gnädiger als halal, mein Yaar, geht nämlich schneller«, sagte Kaanya.
»Und die Patrakars bringen ein paar clevere Schlagzeilen über den Pathar Maar, der Steinkiller dies, der Steinkiller das«, sagte Salim.
»Und alle sind zufrieden«, sagte Pasina, »sogar der Patharwallah.«
Dann lachte er roh und setzte noch hinzu: »Ich glaube, der Kerl ist jetzt ganz brav und relaxed. Solltest du öfter machen, Miya, high sein
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