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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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wusste, wie sie es zu nehmen, zu respektieren hatte. Warum ist es so stark?, fragte sie Salim. Weil sie Rattengift daruntermischen, erklärte er, und das Strychnin gibt der Maal den entscheidenden Kick. Keine Sorge, sagte er, es wird uns schon nicht umbringen; schließlich sind wir keine Ratten. Dimple sah ihn an und war sich da nicht so sicher. Er hatte an Gewicht verloren. Die Zähne standen vor, die Barthaare waren kurz und struppig wie die Fäden einer frisch genähten Wunde. Sie dachte: Wie rasch er alt geworden ist. Und: Ich auch. Das Fenster stand offen, und sie nahm den Geruch von Diesel und brennendem Gummi wahr. Wen bringen sie jetzt um, fragte sie, Muslime oder Hindus?
    Er sagte: »Sie bringen sich selbst um, diese Scheißer, lass uns hoffen, sie verbocken es nicht wieder.«
    Sie steckte sich die Glasröhrchen in die Tasche und verließ den Laden. Bis zur Khana war es nicht weit, doch schien ihr der Weg heute unvertraut. Außer einem Mann, der einen langen Karren schob, regte sich kein Leben auf der Straße. Er war noch weit weg, und auf diese Entfernung konnte sie nur seine schmutzige weiße Kurta und die bloßen Füße sehen. Auf dem Karren lagen Gegenstände, Stöcke oder Schwerter, das wusste sie nicht zu sagen. Sie nahm den Umweg über die Kamathipura III rd Lane. Meist war auf dieser Gasse kaum ein Durchkommen: Die Leute stellten ihre Pritschen nach draußen und ruhten den ganzen Tag lang im schmalen Schatten. Heute aber waren die Pritschen verschwunden, die Käfige der Randis verriegelt, die Läden geschlossen. Nichts hatte geöffnet, nur ein Raddiwallah, ein alter Mann, saß vor einer Waage, hinter sich kleine Haufen gebrauchter Bücher und Zeitschriften. Wahllos griff Dimple nach dem Ersten, was ihr in die Hand fiel. Sie konnte mittlerweile lesen und hatte es sich noch nicht abgewöhnt, ihre Lektüre zufällig auszuwählen.
    EINIGE BEISPIELE FÜR REINKARNATION
    von S. T. Pande
    Dekan: Theologie & Symmetrie, Haryana University.
    Da sie sich an den Namen des Autors erinnerte, sah sie sich das Buch genauer an. Es war ein schmaler Band in gutem Zustand, ein Lehrbuch mit Illustrationen. Der Raddiwallah überließ es ihr für eine Rupie. Eilends ging sie zur Khana weiter, klopfte und rief Bengalis Namen. Dann hämmerte sie erneut an die Tür und forderte, komm schon, mach auf, ich weiß, dass du da bist; die Tür ist von innen verschlossen. Geh nach Hause, erwiderte Bengali. Geh nach Hause und nicht wieder vor die Tür. Sie machte sich auf den Weg nach oben. Während sie in der Tasche nach dem Schlüssel suchte, hatte sie plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden, doch als sie sich umdrehte, war niemand zu sehen.
    •••
    Es war weniger Eitelkeit als vielmehr ihr Gegenteil. Warum sollte sie ihr Gesicht zeigen, wenn sie nicht gesehen werden wollte? Sie war dankbar für die Zuflucht, die ihr die Burka bot. Sie vereinfachte die Dinge, ließ sie den Alltag bewältigen, was, wie sie wusste, nicht gerade wenig war. Dimple trug Kajal auf, bemalte sich die Fingernägel, zog ein Paar Sandalen an und ging aus dem Haus. Hinter dem Schleier konnte sie sonst wer sein. In der Khana legte sie den Schleier ab, arbeitete aber in der Burka, und Rashid hatte nichts dagegen. Daheim rauchte sie: ein bisschen Pulver aufs Alupapier, Streichholz drunter, ein rascher Zug mit dem Strohhalm, und sie war versorgt. Weil sie immer nur einen kurzen Zug nahm, rauchte sie so oft wie möglich.
    Eines Nachmittags kam Rashid mit einer Tüte frischem Gemüse, einer Portion Lamm-Masala und Rotis, noch warm aus seiner Küche. Es fanden sich auf dem Markt kaum noch Lebensmittel. Geh nicht vor die Tür, riet er ihr, draußen herrscht der Mob. Sie haben sich zu unseren Henkern ernannt. Dann sah er sie Chemical rauchen und wollte es auch probieren. Dimple erzählte, was passiert war, als sie das erste Mal Chemical geraucht hatte. Sie erzählte ihm ihre Albträume, einen nach dem anderen, angefangen vom Haus der blauen Pools bis zu ihrem letzten Gespräch mit Mr Lee. Seither habe sie Angst vorm Wasser, sagte sie, fürchte sich selbst vor einer Pfütze. Das ist starke Maal, von der wird man ganz wirr im Kopf. Ihre Warnung machte Rashid jedoch nur ungeduldig. Er sagte: Wenn das Zeug so stark ist, wie du behauptest, muss ich es mir einteilen. Erst Sex, dann wird geraucht. Dimple beugte sich über die Folie, und er ging hinter ihr in die Knie, sah, wie knochig ihr Hintern geworden war, feuchtete sie mit seinem Speichel an und dachte an die

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