Narcopolis
sowie die Figurensammlung aus lauter Schwänen und androgynen, vermutlich weiblichen Engeln auf dem Rauchglasregal, das sich längs durch den Raum zog. Rashid trank Masala-Chai und hielt eine unangesteckte Triple-Five in der Hand.
»Das ist nichts«, sagte er, »das geht vorüber. Sagt allen, dass wir bald wieder aufmachen.«
»Wie bald?«
»Sehr bald.«
»Sie wiederholen sich.«
»Iss deinen Khari-Keks.«
»Ich habe doch gesagt, dass da was nicht stimmt. Wozu nur.«
»Hast du nicht.«
»Mir fällt was auf, und ich sag’s. Und dann vergessen Sie’s. Wozu das Ganze?«
»Du hast mir nichts gesagt.«
»Bilkul, habe ich wohl, Bhai, ich hab gesagt, dass was nicht stimmt, als der Beamte vom Zoll kam und fünf Lakh statt fünfzigtausend Rupien haben wollte. Seit Jahren knöpft er Ihnen Geld ab, immer dieselbe Summe, wie eine Steuer, und plötzlich hängt er eine Null an; da musste was nicht stimmen.«
»Wann hast du mir das gesagt? Meinst du, ich würde so was vergessen?«
»Warum nicht? Sie vergessen doch auch sonst alles.«
Sie benutzte das höfliche
aap
, doch waren ihre Worte alles andere als höflich. Und Bengalis Gedanken standen ihm ins Gesicht geschrieben: Man sehe sich diese Frau an. Bis gestern war sie noch eine Prostituierte im Hijra-Bordell, aber jetzt höre sie einer reden; als stünde sie mit Rashid auf einer Stufe. Es ärgerte ihn, wie sie sich seinem Boss gegenüber verhielt und redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, ob respektvoll oder nicht. Sie redet, als wäre sie seine Frau, dachte er, und Rashid hört ihr zu, als wäre er ihr Mann. Dabei ist sie mehr als seine Frau, mehr als beide Ehefrauen zusammen: Sie ist seine Geschäftspartnerin und im Geschäftlichen viel besser als er. Hätte sie das Sagen, wären wir reich und hätten die Konkurrenz längst zu Hackfleisch gemacht.
»Deshalb bist du also hier, um mich zu erinnern.«
»Und was jetzt?«
»Jetzt haben wir ein Ausweichquartier, dann machen wir weiter.«
»Hört sich an, als könnte dieses ›ausweichen‹ ziemlich lange dauern. Und was machen wir bis dahin?«
»Irgendwas, ich denke noch nach.«
»Bhai, die Khana wird sich nicht von allein wieder öffnen.«
Rashid steckte sich die Zigarette an, stieß einen Rauchring aus und blies einen zweiten durch den ersten.
»Ich weiß, wer dahintersteckt: der Bhadwa. Er hat mich besucht, um mir ein Angebot für die Khana zu machen, das so niedrig war, dass ich einfach weiß, er steckt hinter dem Zollschloss an der Tür.«
»Khalid. Er will dich aus dem Geschäft drängen.«
»Oder mein Geschäft übernehmen.«
Sie bezahlten die Rechnung und gingen zum neuen Laden, den Rashid in der Arab Gully gemietet hatte. Er lag in der Seitenstraße einer Seitenstraße. Sie waren eingezogen, hatten einen Rauchplatz hergerichtet (das Zimmer war so klein, dass der Platz nur für eine Pfeife reichte), und Rashid machte es sich bequem, zu bequem, wie Dimple fand. Sie beklagte sich bei Bengali, dass er sich mit dem Unerträglichen bereits abgefunden habe. Er tat, was er von jeher tat, rauchte die Pfeifen, die sie ihm zubereitete, trank seinen Black Label, schniefte darauf eine Line Garad und ließ sich das Essen aus dem Delhi Darbar bringen. Der Verlust der Khana schien ihn nicht zu stören, auch nicht die Tatsache, dass ihn jemand wie Khalid aus dem Geschäft gedrängt hatte. Hol dir die Khana zurück, sagte sie zu Rashid. Was es auch kostet.
Maro
ihn, wenn nötig, nur hol sie dir zurück.
•••
Bengali bemerkte, dass ihr die Haare ausfielen und der Körper seine Rundungen verlor. Um den Mund zeigten sich neue Falten, und die Haut wirkte dunkler. Er fragte sich, ob sie deshalb dazu übergegangen war, eine Burka zu tragen, und wollte ihr sagen, sie solle sich keine Sorgen machen, dass sie, egal wie dunkel oder hell, immer noch eine schöne Frau sei. Doch als er eines Abends das Essen für Rashid holte, sah er etwas, das ihm Angst machte. Er sah sie unter einer Straßenlaterne stehen, vor dem Haus von Mr Lee, nur gab es die Khana des Chinamanns schon lange nicht mehr. Es war noch früh, kurz vor elf, aber die Straße war dunkel und fast menschenleer, und er entdeckte Dimple erst, als ihn nur noch wenige Schritte von ihr trennten. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und ihr Gesicht im Dunkeln das einzig Sichtbare. Sie stand wie erstarrt, den Blick hinauf ins weiße Licht der Lampe gerichtet, reglos bis auf die Lippen, die sich zu bewegen schienen, auch wenn er nicht hören konnte, was sie sagte.
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