Narcopolis
sie beim Raddiwallah entdeckt hatte, und war überzeugt, dass es sich bei S. T. Pande um denselben Autor handelte, den sie vor langer Zeit schon einmal gelesen hatte, nur war er damals Professor für Geschichte gewesen, nicht für Theologie und Symmetrie, zudem hatte er einer anderen Universität angehört. Wie konnte es zwei Professoren mit identischem Namen geben, die beide Lehrbücher für Schulkinder verfassten? Es musste derselbe Mann sein, nur wie brachte man es zum Experten auf so vielen Gebieten? War Symmetrie überhaupt eine Disziplin? Wahllos schlug Dimple eine Seite auf, da sie gern auf diese Weise las, und begann mit der ersten Zeile:
»… welchen Zweck also hätten die Machenschaften des Verlangens? Da Gott eine jede Glückseligkeit des Körpers mit einem beigeordneten Objekt der Befriedigung schuf, ist allein das Verlangen nach Unsterblichkeit bereits Beleg für die Unsterblichkeit sowie auch für die Existenz ihres Schwesterzustandes, der Unveränderlichkeit, vgl. die Katha-Upanischaden: »Wenn das Ich, das im Körper haust, dem Körper entrissen und freigesetzt wird, was bleibt? Dies ist das.«
Sie blätterte zurück zum Anfang, und ihr fiel auf, dass
Einige Beispiele für Reinkarnation
nicht zur Prüfungslektüre der Schulen gehörte. Das Titelblatt, Seite
iii
, gab nur Buchtitel und Autorennamen an: Nichts wies darauf hin, dass es sich um ein Lehrbuch handelte. Gegenüber, auf Seite
ii
, fand sich das Impressum:
Diese Ausgabe erschien 1987 bei STP Enterprises, Neu-Delhi, Madras, Bhubaneshwar
. Auf Seite
iv
las sie für STP Enterprises eine Adresse in Haryana, und unten auf der Seite wurde das indische Bildungsministerium als Herausgeber genannt. Auf der gegenüberliegenden Seite standen erneut Titel und Autorenname, diesmal in altmodischem Holzschnittdesign; blätterte man um, folgte das Inhaltsverzeichnis. Pande hatte das Buch in zwei Teile gegliedert: ›Aggressive Reinkarnation, eine Einführung‹ und ›Die Algebra des Seins‹. Der erste Teil listete ›aktive Reinkarnationspraktiken‹ für jene Fälle auf, denen ein seltsamer, gewalttätiger oder schmerzhafter Tod vorausgegangen war, und begann mit einem Prolog, der eine Zusammenfassung der nachfolgenden Abschnitte enthielt:
Unsterblichkeit
Schuld & Folgen
(Abschnitte 3 – 6 wurden ausgelassen)
Vorahnung
Rache
Zungenlosigkeit
Dimple fing vorn an und las langsam bis zum Ende.
UNSTERBLICHKEIT . Worin der Autor die These aufstellt, dass Reinkarnation als Möglichkeit der unendlichen Verlängerung der irdischen Existenz einer Entität der Verdammnis gleichkommt. Der Autor verficht überdies die These, dass sich nur berauschte, gottvergessene Entitäten unbegrenzte Lebensspannen wünschen, um ihre Vergnügungen in die Länge zu ziehen. Der Autor schlägt vor, dass solche Entitäten ihr Leben nach dem Tod aktiv in die eigene Hand nehmen und wählen, in welcher Gestalt sie wiederkehren möchten. Wollen sie nach Herzenslust saufen und schmausen, sollten sie darum ersuchen, das Äußere eines Schweins verliehen zu bekommen; falls sie in der Sonne liegen und sich nur wenig bewegen mögen, sollten sie den Körper einer Eidechse verlangen; und wenn sie Tag und Nacht kopulieren möchten, sollten sie um einen Affenleib bitten. Der Autor will damit keineswegs andeuten, dass mit diesen drei Körpergestalten die Grenzen dessen benannt sind, was einer berauschten Entität an Auswahl zur Verfügung steht, ganz gewiss nicht, wären da doch noch vielerlei Verfassungen zu nennen, so etwa: Inwärts gerichteter Neid, Schläfrigkeit, Urinierstolz, Höhenangst, Höhenlust, Wasserangst, Wasserlust & etc. (siehe Abb. 8 ).
SCHULD & FOLGEN : Worin der Autor die These aufstellt, dass es keine Unschuldigen und bloßen Zuschauer gibt, da alle Lebewesen eine aktive Rolle in ihren Inkarnationen, Reinkarnationen sowie nachfolgenden Existenzen spielen; dass jede Entität mit den Sünden und Erinnerungen ihrer früheren Existenz geboren wird, und je stärker diese Erinnerungen, desto dynamischer das Zusammenspiel von Hoffnung und Macht in der Kindheit; dass diese Erinnerungen beim Eintritt in die Adoleszenz verblassen, ein Verlust, zu dem es trotz unserer größten, gegenteiligen Anstrengungen kommt, werden wir doch dazu ermuntert von unserer Familie und der Gesellschaft, der wir uns mit aller Macht anzupassen versuchen; dass jene, die scheinbar ohne offenkundiges Verschulden eines schmerzhaften Todes sterben, damit für frühere Irrtümer zahlen; dass sich
Weitere Kostenlose Bücher