Narcopolis
werden kann, dass sich die Gelegenheit bietet, von der dahinscheidenden Entität Abschied zu nehmen. Der Autor liefert zudem ein weiteres Beispiel aus eigener Erfahrung. Als seine Gattin auf so tragische wie überraschende Weise starb, führte er in dem Versuch, mit ihr zu kommunizieren, ein rituelles Experiment durch. Der Autor entfernte sich mittels eines kleineren chirurgischen Eingriffs die eigene Zunge, wobei es ihm gegenwärtig nicht freisteht, Details besagten Eingriffs darzulegen, da dessen Gesetzmäßigkeit Anlass zu Zweifeln geben könnte, doch will er hiermit in aller Deutlichkeit sagen, dass er mit dem Erfolg der Maßnahme überaus zufrieden ist. Ein Ergebnis der Selbstverstümmelung war, dass dem Autor mehrere Gespräche mit seiner verstorbenen Frau gewährt wurden, der seine Zungenlosigkeit nicht das mindeste auszumachen schien. Der Autor deutet sogar an, dass die nachfolgende Kommunikation durch das Fehlen seiner Zunge nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern letztlich sogar verbessert wurde. Seinen Lesern kann er diese Vorgehensweise nicht zur Nachahmung empfehlen, doch bietet er sie als mögliche Antwort auf die Frage an: Warum schreiben Sie? Ebenso auf die Frage: Warum gehen Sie nie ans Telefon? Er schlägt zudem vor, Kopflosigkeit in Betracht zu ziehen, wenn auch nur von Entitäten, die auf dem Gebiet der Selbstenthauptung bewandert sind (siehe Abb. 9 ).
Dimple blätterte zu den letzten Buchseiten vor, da sie hoffte, ein Bild von Pande zu finden, doch entdeckte sie dort, wo das Autorenfoto hätte sein sollen, nur eine Strichzeichnung, ein Selbstporträt. Das Buch war bloß ein schmaler Band, in der Mitte mit Glanzpapierseiten, die weitere Strichzeichnungen zeigten, welche in einem sehr lockeren Zusammenhang mit jenen Abschnitten standen, die sie angeblich verdeutlichten. Abb. 8 zum Beispiel sollte eine Illustration des Abschnitts über Unsterblichkeit sein, hatte aber nicht den geringsten Bezug zum Buch, wenn man einmal von dem Wort ›Wasserlust‹ absah, das darin wie eine Art Titel zu lesen war. In diesem Moment begriff Dimple, dass Pande ein Betrüger war, dass er dieses Buch auf eigene Kosten gedruckt hatte ( STP war sein Verlag, er trug seine Initialen); und sie wusste auch, dass das einzig Nicht-Betrügerische in diesem Buch das Kreuz war, das der Autor hinten im Selbstporträt um den Hals trug. Pande glaubte an den christlichen Gott, so viel war klar, und während Dimple die Zeichnung betrachtete, begriff sie, dass sie es ebenfalls tat, denn zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie in eine Kirche gehen.
•••
Die Khana hatte tags darauf wieder geöffnet. Am späten Nachmittag zog sich Dimple ein Kleid an und ging zu Salim, um Chemical zu kaufen. Trümmerbrocken und die Karosse eines ausgebrannten Taxis lagen auf der Straße. Ihr fiel auf, dass sich nirgends Hunde blicken ließen, kein einziger. Wohin waren sie verschwunden? Es gab auch keine Kühe und keine Vögel zu sehen. Salim erklärte, kein Kokain mehr zu haben; sie möge Rashid sein Bedauern mitteilen und ihm sagen, dass Garad vorrätig sei und auch vorrätig bleibe. Insbesondere Chemical gäbe es mehr als genug. Warum das, fragte sie, wie kommt es, dass die Ereignisse in der Stadt darauf keine Auswirkungen haben? Salim lächelte sie mit unvermuteter Zuneigung an. Es war lang her, seit er zuletzt Sex gehabt hatte, dachte er, erst recht mit einer Frau und dann noch mit einer Hijra. Was ihm der Lala antat, hatte mit Sex nichts zu tun, das war Bezahlung. Der Lala nahm sich seinen Arsch als Gegenleistung für die berufliche Perspektive, die er ihm bot, und das Vergnügen an diesem Austausch blieb ganz und gar einseitig. Salim konnte sich kaum mehr daran erinnern, wie sich eine Erektion anfühlte, empfand in diesem Moment aber große Zuneigung zu Dimple und hätte sie gern gevögelt, ein freundlicher, nostalgischer oder auch zärtlicher Fick. Setz dich, sagte er, und ich erkläre es dir. Garad kommt aus Pakistan. Weißt du, was Garad auf Urdu heißt? Müll. Das ist der unraffinierte Dreck, der abfällt, wenn Maal guter Qualität für die reichen Länder produziert wird. Selbst die schlimmsten Junkies in Amerika-Schamerika rühren kein Garad an. Deshalb schicken es die Pakis zu uns. Wir nehmen es ihnen mit Kusshand ab und wollen mehr. Um dem Zeug den besonderen Kick zu geben, vermischen wir es mit noch mehr Dreck und nennen es Chemical. Man könnte das nun eine besondere Gabe nennen, ein Talent, Dreck zu nehmen und daraus etwas
Weitere Kostenlose Bücher