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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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viel wie möglich wieder aus. Er übergab sich, übergab sich noch einmal; die Beine wollten ihm nicht mehr gehorchen, und es dauerte eine Weile, ehe er sich fit genug fühlte, ins Zimmer zurückgehen zu können. Shakoor und der Dealer standen dicht beieinander in der Enge und starrten auf den bewusstlosen Zuhälter. Schaff ihn hier raus, sagte Shakoor. Der Dealer zog eine Waffe unterm Hemd hervor, eine indische Waffe, die bestimmt Ladehemmung hatte, vielleicht aber auch nicht, und er zielte damit auf Rumi und sagte: »Mach schon, Hackfresse, bring diesen schwesterfickenden Motherfucker hier raus.« Er folgte Rumi, als der den Zuhälter fortzog, ihn erst bei den Armen, dann bei den Füßen packte und bei hellem Tageslicht aus der Khana auf die Straße schleppte. Bis später, Arschloch, murmelte der Dealer, als er zurück zu Shakoor ging. Rumi, der immer noch elend würgte, legte den Zuhälter auf der Straße ab und schlief ein, vielleicht wurde er auch bewusstlos. Ein dürrer Constable weckte ihn, niedrige Kaste oder auch keine Kaste, vielleicht ein Chamar, ließ ihn in einen Lieferwagen steigen und sagte, der Zuhälter sei tot, und das sei er auch bald. Der Bulle aus der niedrigen Kaste sagte noch etwas zu ihm, aber was er sagte, das wusste er bereits: Er hatte jede Menge Ärger am Hals.
    •••
    Carl fragte, ob sie nächste Woche im Center eine Sitzung leiten möchte. Sie könne tun, wonach ihr der Sinn stehe, ein Thema wie Stolz wählen, auch Glaube, sie könne sogar über ein Buch reden, etwa über Anthony de Mellos großartiges Werk
Der springende Punkt
; wenn sie wolle, könne sie auch eine Studienstunde abhalten. Dimple zitterte noch vom Medikamentenentzug, kein Chlorpromazin mehr und kein Avil; sie kam sich vor, als häute sie sich, werfe nicht tote, sondern lebendige Haut ab, und das Fleisch darunter war roh und aufgeraut. Carl fragte, welche Stunde sie geben wolle, für welches Thema sie sich entscheide, und kaum hörte Dimple die Frage, schoss ihr die Antwort in den Sinn: Sie wolle Geschichte lehren, sagte sie, die Geschichte des Bösen, wie sie gewisse Individuen zusammengetragen hatten, obskure und weniger obskure, ein Kreis, zu dem Poeten, Priester und Prostituierte gehörten, auch wenn er sich nicht darauf beschränkte. Noch ehe sie geendet hatte, begann Carl, mit dem Kopf zu schütteln.
Unangemessen
,
irregleitet
und
Überkompensation
waren einige der Wörter, die er benutzte; es fielen noch andere, aber die waren nicht so interessant. Carl fand, die Art Sitzung, die Dimple im Sinn habe, eigne sich eher für eine Universität oder eine humanistische Vorlesungsreihe. Das hätte nichts Erbauliches, wie also sollte eine Gruppe genesender Süchtiger davon profitieren, die ihre Sucht gerade erst überwunden hatten, weshalb deren Realitätsbegriff noch ziemlich wacklig sei? Dimple gab zu, dieses Thema habe nicht viel Erbauliches, zumindest nicht auf den ersten Blick, doch wäre es gewiss für jene von Nutzen, deren Zustand sich besserte, da Sucht, zumindest am Rande, zu jenen Themen gehörte, die unter die Generalüberschrift ›das Böse‹ fielen, weshalb sie über die Ideen von Burroughs, Baudelaire, Cocteau und de Quincey reden wolle, um nur vier Historiker des Bösen zu nennen, auch wenn dies für Letzteren bloß eingeschränkt zutraf. Wer sind die?, wollte Carl wissen. Poeten? Prostituierte? Schriftsteller, erwiderte Dimple. Carl fragte, ob sie Drogen nähmen. Ja, sagte Dimple, haben sie, meist Opiate. Na, dann sind sie auch nur Junkies, Gescheiterte, die Glück gehabt haben, denen dürfe man nicht trauen. Außerdem, sagte Carl, gehören sie nicht zu den positiven Denkern, auf die wir uns im Center vorzugsweise konzentrieren. Dieses Programm soll Leuten helfen, Heroin hinter sich zu lassen; es soll die Drogen nicht glorifizieren.
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    Als das Garad nachließ, bekam er die Scheißerei. Das Klo war ein Loch im Boden, das man unmöglich treffen konnte, weil drum herum so viel Scheiße lag, die Scheiße von Wochen, Monaten und Jahren. In Schuhen stand er davor, zog sich die Hose herunter, vergrößerte den Haufen und versuchte, nicht durch die Nase einzuatmen. Dann ging er zurück zu seinem Platz auf dem Boden und gähnte und zitterte sich durch den Entzug. Überall um ihn herum lagen Leute, stille Männer, die Hände auf ihren Wertsachen, sofern sie denn welche hatten, und er lag auf seinem Platz mit triefenden Augen, triefender Nase, bis neben ihm ein Leib erschien, ein großer,

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