Narcopolis
Filmproduzenten begangen hat. Sag es, bat ich, ich möchte es verstehen. Warum traut ein Hindu eher einem Muslim als einem Garaduli? Du bist ein Hindu, erklär es mir. Der Killer musterte mich, als nähme er Maß für einen Anzug oder Sarg und sagte dann: Garadulis würden alles tun. Ich erwiderte: Das gilt doch nicht nur für Garadulis. Alle würden alles tun. Der Killer sagte: Garadulis wenden sich gegen die eigenen Leute – nicht einmal ein Taschendieb brächte das fertig. Rumi schwieg eine Weile und sagte dann: Was haben Sie mir mitgebracht? Neuigkeiten, antwortete der Muslim, die besten Neuigkeiten, die Sie sich nur erhoffen können. Ich meine, haben Sie mir was zu essen mitgebracht? Zigaretten? Geld? Nein, sagte der Muslim. Ich habe was Besseres: Wir holen Sie hier heraus. Wir haben einen Deal mit dem Gericht ausgehandelt. Lassen Sie mir bloß ein bisschen Bargeld da, sagte Rumi, alles, was Sie gerade bei sich haben. Sie können es sich von meinem Vater wiederbesorgen. Hören Sie, Ramesh, sagte der Muslim, Sie kommen hier raus; es ist für alles gesorgt, auch für das nötige Geld, bleiben Sie cool, Mann, entspannen Sie sich.
Natürlich lief die Sache nicht so problemlos, wie es der Muslim – sein Name war Majid – behauptet hatte. Es verging eine weitere Woche mit wässrigem Daal, ungewaschenem Reis und ständigem auf der Hut sein, doch dann ging es zum Gericht, wo meist Majid, der Muslim, redete. Anschließend verfrachtete ihn ein Constable in einen Jeep und eskortierte ihn zu jener Anstalt, die der Richter empfohlen hatte. Es sei, hatte er gesagt, Indiens erstes Institut dieser Art, würde es doch einzig von ehemaligen Drogenkonsumenten geführt, die sowohl physische wie spirituelle Übungen nutzten, um eine rasche Rekonvaleszenz zu bewirken (ein Ausdruck, der Rumi lächeln ließ, klang es doch, als würde der Richter für einen Werbespruch bezahlt, denn wer auch nur das mindeste darüber wusste, der wusste, dass es, wenn es um Heroin ging, so etwas wie eine rasche Rekonvaleszenz nicht gab); zudem war es vor allem für seine teils psychotherapeutischen, teils literaturkritischen Sitzungen bekannt, die von einem ehemaligen Mönch und Heroinsüchtigen abgehalten wurden, einem Mann namens Soporo Onar, der wenige Monate zuvor die Leitung des Centers übernommen hatte. Der Richter sagte, die Tore der Anstalt seien verschlossen, allerdings nur nachts, weshalb ein Entkommen keineswegs unmöglich sei, doch wäre er der Auffassung, es sei für Rumi weit besser, die sechs Monate Strafe durchzuhalten, als ein Leben lang auf der Flucht vor dem Gesetz zu sein.
•••
Mit den Träumen kamen Erinnerungen; vielleicht aber waren es auch gar keine Erinnerungen, sondern bloß Phantasien, die Dimple für Erinnerungen hielt. Sobald sich die Wolke aus Garad und Chandu verzog, diese Gefährtin vieler Jahre, schienen Erinnerungen an ihre Kindheit freigesetzt zu werden, falls es denn überhaupt echte Erinnerungen waren. Es überraschte Dimple, dass sie sich an den Altar erinnerte, den ihre Mutter auf dem untersten Regal eines Stahlschranks errichtet hatte, etwas, wovon nur sie beide wussten. Dimple erinnerte sich an die Ringelblumen, die ihre Mutter auf den Schrein gelegt hatte, an das gerahmte Bild von Swayambunaths gemaltem Auge und an die Statue einer Frau mit blauem Schleier. Heute wusste sie, dass diese Frau in Blau die Gottesmutter Maria gewesen war und dass ihre Mutter sowohl hinduistische wie christliche Götter angebetet hatte. Nur wie war es möglich, dass sie sich daran erinnerte, obwohl sie doch mit sieben Jahren von ihren Eltern getrennt worden war und mit acht bereits bei der Tai lebte, die sie in Dimple umbenannte, nicht etwa, weil sie ein
dimple
, also ein Grübchen gehabt hätte, sondern weil es damals eine Schauspielerin dieses Namens gab, die für kürzeste Zeit die ach so erregbare Phantasie der Nation fesselte. Nun, sie tat es, sie erinnerte sich mit absoluter Deutlichkeit daran, wie ihre Mutter sie den Händen des Priesters überließ. Und sie erinnerte sich auch an die Anfälle ihrer Mutter, wenn sie grundlos zu schreien begann oder sich die Haare raufte, an die Streitigkeiten mit dem Vater, an den sie sich überhaupt nicht erinnern konnte, da er jung gestorben war, und sie erinnerte sich an die Schlinge, aus der man ihre Mutter rettete, eine Schlinge aus einem Dupatta, der an einem Nagel an der Küchenwand gehangen hatte. Oder war es Mr Lees Mutter gewesen, die aus dieser Schlinge gerettet wurde?
Weitere Kostenlose Bücher