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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeet Thayil
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schweinsnasiger Iraker, der aus dem Rauch einer Beedi Gestalt annahm und fragte, ob er Geld habe und Garad wolle. Rumi kaufte drei Pudis und schniefte zwei aus der Hand; erst dann hörte die Scheißerei auf. Er kaufte dem Iraker zusätzlich Beedis ab und rauchte mit Bedacht, immer nur eine halbe Beedi auf einmal, und wenn er aufgeraucht hatte, löste er die Schnur, öffnete das Blättchen und rettete so noch das letzte bisschen übrig gebliebenen Tabak. An jenem Abend hockte Rumi auf seiner Schlafstelle, umgeben von Dieben, Schwuchteln, Mördern und Atheisten, und sann über den Zweifel nach. Er dachte: Zweifel ist nur ein anderes Wort für Selbsthass, denn wenn du an dir und deiner Stellung in der Welt zweifelst, öffnest du dich dem Versagen. Dann hast du keinen Platz unter den Menschen. Du bist Überträger eines Virus, bist ansteckend, und man sollte dich abknallen, denn keine Schwäche ist so gefährlich wie der Zweifel, der ist sogar gefährlicher als Eitelkeit oder Habgier, denn wie Krebs oder Tuberkulose nährt Zweifel sich von sich selbst, anders aber als jene, die unter diesen Krankheiten leiden, verdient ein Zweifler keine Sympathie: Wer zweifelt, hat sich entschieden. Rumi sagte sich, nichts bringt mich um, denn ich kenne keinen Zweifel, und ich brauche es nur auszusprechen, dann wird es auch wahr. Laut wiederholte er die Worte: Nichts bringt mich um. Tief holte er Luft, füllte die Lungen mit dem schalen Gestank der Zelle, den Gerüchen und Ausdünstungen der Verbrecher um ihn herum. Dann zielte er sorgsam und spuckte in die Ecke, in der die Mörder schliefen, der beste Platz, direkt unter dem Fenster. Es waren zwei, ein Mann, der seine Frau und beiden Kinder im Schlaf erwürgt hatte, und ein Mann, der einen Freund erstochen hatte, weil er ihm Geld schuldete; zweiunddreißig Mal hatte er auf ihn eingestochen und den Leichnam dann in einen Entwässerungskanal gekippt; letztendlich würde er (Monate später, lange nachdem der Fall von den Seiten der Lokalzeitungen verschwunden war) der Todesstrafe wegen eines Verfahrensfehlers entkommen. Leibhaftig wirkten die beiden Mörder nicht sonderlich beeindruckend, der eine hatte eine Wampe und war Asthmatiker, der andere ein jüngerer, magerer Kerl mit grässlichem Mundgeruch, doch wurden sie wie Filmstars behandelt, mussten keine Gefängniskluft tragen und durften einmal am Tag zum Freigang nach draußen, wann immer ihnen danach war. Rumis Rotze landete auf dem nackten Fuß des Mannes, der seine Familie erwürgt hatte. Der Mann schlug die Augen auf und wischte sich den Fuß am Boden ab, wischte ihn sorgfältig sauber. Anschließend richtete er sich auf und schaute sich um, bis sein Blick auf Rumi fiel. Im Dämmerlicht sahen seine Augen wässrig aus. Ich weiß, was du willst, sagte er. Du weißt gar nichts, erwiderte Rumi. Überhaupt nichts, was auch nur den geringsten Unterschied in der Welt machen würde. Freund, sagte der Mörder, ich sage dir, was ich weiß, und du sagst mir, wenn ich mich irre. Du willst mich schlagen und willst geschlagen werden, du willst fast zu Tode geprügelt werden, stimmt’s? Du willst Blut schmecken, weil du dich langweilst und Schmerz dem Nichts vorziehst. Habe ich recht? Ich dagegen ziehe die Langeweile vor, denn darin finde ich Trost. Damit will ich Folgendes sagen: Wenn du nicht schlafen kannst, frag den Iraker, ob er dir Mandrax gibt. Ich werde jedenfalls nicht mit dir kämpfen. Und nachdem er das gesagt hatte, legte sich der Mörder einen Arm über die Augen und rührte sich nicht mehr.
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    Es war der erste Traum seit Wochen, ihr erster Schlaf, seit sie im Safer war. Sie träumte von einem Poster, das undenkliche Jahre an Rashids Wand gehangen hatte, ein Poster, das ein blondes Mädchen mit Sonnenhut zeigte. Im Traum stand sie von ihrer Turkey-Matratze auf und trat ans Fenster, das auf einen Rasen ging, saftig und grün, die Art Grün, die in den Augen schmerzt, so hell schimmerte das Gras. Sie sah, wie das blonde Mädchen den großen, übergroßen Hut abnahm und auf den Rasen legte (und da verwandelte sich der Traum zum Film, denn sie sah die Szene nicht länger vom Fenster aus: Der Rahmen wurde zu einer Art Objektiv, das in schwindelerregendem Tempo ran- oder wegzoomte), und sie sah, dass die Kleine nicht allein war, dass sie vielmehr eine Schattenarmee umgab, Schatten, die sich am Rand des Rasens bewegten, als wäre ihr Anspruch auf den Rasen und die Farbe Grün, auf den Himmel und die Farbe Blau, auf die Erde und

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