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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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an den Haaren aus seinem Versteck in einem halb zerstörten und geplünderten Feinkostladen. In diesem Moment schlug eine Granate in die Hauswand über ihnen ein, sprengte ein scheunentorgroßes Loch in die Fassade und schleuderte Ziegel und große Brocken Verputz durch die Luft. Der deutsche Soldat riss sich los und versuchte zu flüchten, rannte im Zickzack die schmale Seitengasse hinunter, die Arme wie zum Schutz über den Kopf gelegt. Eine Salve aus einer Maschinenpistole schleuderte ihn in den nächsten Hauseingang, er zuckte noch einige Male und lag dann still.
    Solowjov war auf der Hut und blickte aufmerksam die Häuserzeile entlang. Der Rauch ließ seine Augen tränen. Es war hell geworden in der Zwischenzeit und die abschüssige Gasse verlief in Richtung Innenstadt. Maxim sah eine große Kirche, aus der eine riesige Rauchwolke aufstieg und sich wie ein Mahnmal in den Himmel wälzte.
    Dann lief er weiter die Häuser entlang und betete.
    »Der Stephansdom brennt!« Mit diesem Ruf stürmte ein SS-Oberscharführer mit großen Schritten in das Vorzimmer des Wiener Gauleiters Baldur von Schirach. Dessen langjährige Sekretärin, eine geborene Wienerin aus Mariahilf, schaute den großen Mann in der schwarzen Uniform ungläubig von ihrem Arbeitsplatz aus an. Sie war gerade dabei, die restlichen Akten aus den Schreibtischschubladen zu holen und zu hohen Stapeln aufzuschichten. Soldaten liefen durch die Räume, Befehle hallten durch die Gänge der Hofburg, Säcke mit Ausrüstung wurden über die alten Parkettböden geschleift.
    »O mein Gott …«, war alles, was die Sekretärin schreckensbleich hervorstoßen konnte, da ging auch schon die Türe auf und Schirach, der ihre Worte gehört hatte, schaute sie verächtlich an.
    »Not lehrt beten«, sagte er nur kalt, »hoffentlich lehrt sie den Wienern endlich auch das Denken. Wie ist die Lage?«
    Der SS-Mann schlug die Hacken zusammen, salutierte mit erhobenem Arm und einem lauten »Heil Hitler«.
    Schirach winkte ärgerlich ab.
    »Die Russen sind am Gürtel, haben die südlichen und östlichen Bezirke in ihrer Gewalt und sind dabei, die Westumschließung der Stadt zu vollenden. Die Gürtellinie ist vom 10. bis zum 19. Bezirk besetzt. Marschall Tolbuchin hat seine Karten gut gespielt. Die Iwans sind schneller vorangekommen, als wir je geglaubt haben«, berichtete der SS-Oberscharführer und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
    »Weil die Wiener sie unterstützt haben«, geiferte Schirach und schlug wütend mit der Faust auf den Schreibtisch. »Seit vier Tagen donnern die Kanonen und diese Defätisten haben nichts anderes zu tun, als weiße Fahnen zu hissen und die Angreifer mit offenen Armen zu begrüßen. Seit ich diese Stadt zur Festung erklärt habe, ist die Lage geradezu stündlich schlechter geworden!« Schirach verzog zornig das Gesicht. »General Bühnau hatte recht, als er gestern nach Berlin kabelte, dass die Wiener Bevölkerung ein stärkeres Feuer gegen die deutschen Truppen richte als der Feind. Ohne diese Bande von Kollaborateuren hätten die Iwans niemals so schnell ihr Ziel erreichen können. Man sollte sie alle an die Wand stellen!«, brüllte er und der SS-Mann beeilte sich gerade, entschieden zuzustimmen, als hinter ihm ein weiterer Soldat auftauchte und ihn aufgeregt beiseitestieß. Es war der Chauffeur Schirachs.
    »Herr Gauleiter, Sie müssen sofort verschwinden, die Russen können jeden Moment die Innenstadt erreichen. Die Hofburg ist nicht mehr sicher. Ich weiß nicht wohin, aber …«
    Schirach unterbrach ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in seinem Büro. Er schloss wütend die Tür und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. Sein Blick ging an die Decke mit den Fresken römischdeutscher Kaiser, in ihrem Zentrum Maria Theresia. Er wünschte sich für einen Moment, so viel Macht zu haben wie die beliebte österreichische Kaiserin damals. Nun spürte er, wie ihm die Zeit davonlief und all die Macht, die tausend Jahre währen sollte, so unglaublich schnell zwischen seinen Fingern zerrann.
    Er blickte sich in seinem Büro um, als sähe er es zum letzten Mal. Der relativ kleine Raum im josephinischen Trakt der Wiener Hofburg war ihm ans Herz gewachsen und er zog ihn allen anderen Repräsentationsräumen in dem riesigen Gebäude vor. Eine bis zur Decke reichende, üppig geschnitzte Holzvertäfelung verbarg nicht nur Schränke und Fächer, sondern zwei Geheimtüren führten von hier in die

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