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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Nationalrat …«
    »Wer sagt Ihnen, dass wir nicht im Parlament vertreten sind? Nur weil wir unter anderen Farben unsere Sitze einnehmen, nur weil wir nicht hinausschreien, wer wir sind? Vertrauen Sie dieser parlamentarischen Demokratie so unbedingt? Ist keine andere Variante denkbar?« Der Anrufer schwieg kurz. »Es ist jetzt kurz vor zehn Uhr vormittags. Der Countdown läuft.«
    »Aber …«, versuchte der Bundespräsident einen Einwand.
    »Es gibt kein Aber«, unterbrach ihn der Unbekannte. »Wägen Sie Ihre Schritte in den nächsten Stunden sorgsam ab. Wir sind überall, wir sehen alles, wir wissen alles, wir überwachen alles. Wir sind in den langen Jahren in jene Ränge aufgestiegen, wo die staatliche Kontrolle versagt, weil die Intimität zur Macht zu groß ist. Machen Sie keinen Fehler. Sie tragen die Verantwortung.«
    Ebner wollte noch etwas sagen, aber der Anrufer hatte die Verbindung bereits getrennt.
    Als der Bundespräsident den Hörer auflegte, zitterten seine Hände und seine Gedanken rasten. Er schob die Tageszeitungen mit fahrigen Gesten auf einem Stoß zusammen und schaute dabei auf seine Gegensprechanlage. Dann hob er den Hörer erneut ab und verlangte die Telefonzentrale der Präsidentschaftskanzlei. Die zuständige Beamtin meldete sich nach dem ersten Läuten.
    »Ebner hier. Haben Sie ein Signal empfangen, dass Sie einen Anruf auf meiner geheimen Leitung zurückverfolgen sollen?«
    »Nein, Herr Bundespräsident, es ist kein Signal bei mir eingetroffen. Haben Sie den Alarmknopf betätigt?«
    »Hm … seltsam … Danke, ist schon in Ordnung.« Ebner spürte, wie die Panik in ihm aufstieg. Der Anrufer hatte recht gehabt, zumindest was den Alarm betraf. Und wenn alles andere auch …?
    Ebner wischte den Gedanken weg. Es konnte einfach nicht sein, es durfte nicht sein. Der Bundespräsident konnte sich nicht vorstellen, dass die Zukunft des Landes in den Händen einer Gruppe liegen könnte, die sich nicht um demokratische Regeln kümmern und mit einem Federstrich womöglich eine andere politische Staatsform einführen würde.
    »Einen legalen Anspruch auf die Regierung in diesem Land«, murmelte der Bundespräsident und schüttelte den Kopf. In diesem Moment klopfte es an der Tür und Ebner schreckte hoch. Sein Sekretär betrat das Büro und schwenkte ein großes Kuvert in seiner Hand.
    »Guten Morgen! Das kam gerade per Boten, an Sie persönlich adressiert«, meinte er fröhlich und legte den braunen Umschlag vor das Staatsoberhaupt. »Es ist durch den Scanner gegangen, nur Papier drin, keine Bombe«, scherzte er und war schon wieder draußen, bevor Ebner etwas fragen konnte.
    Vorsichtig riss der große grauhaarige Mann das Kuvert auf. Ein Zettel fiel heraus, zwei fotokopierte Blätter blieben im Umschlag. Ebner entfaltete erst das lose Blatt. Mit schwarzen Blockbuchstaben stand darauf: »Vergessen Sie nicht – vierundzwanzig Stunden …«
    Dann zog der Bundespräsident die beiden Kopien heraus, setzte sich hin und begann zu lesen. Je weiter er kam, desto blasser wurde er. Sein Kopf schmerzte und er ahnte, welches Ausmaß der ausgeklügelte Plan hatte.
    Er hob den Hörer an, wollte jemanden anrufen, sich mitteilen, seine Hilflosigkeit hinausschreien. Aber wem konnte er trauen? Jeder Fehler wäre tödlich, hatte der Unbekannte gesagt. Ebner hatte keine Angst um sich. Er hatte Angst um Österreich.
    »Wia Zhaus«, Leopoldstadt, Wien/Österreich
    D as »Wia Zhaus« war ein traditionelles Wiener Gasthaus oder Beisl, wie man in der Bundeshauptstadt sagte, ein Familienbetrieb mit der Mutter in der Küche, dem Vater hinter dem Ausschank und der Tochter als Bedienung. Die Gäste kamen bereits seit Jahrzehnten und es waren meist immer dieselben. Man kannte sich, man war befreundet, manchmal auch verwandt. Die Lage des »Wia Zhaus« in einer kleinen Nebenstraße des Handelskais ließ die Wellen der Touristen vorbeibranden. Man verirrte sich nicht hierher, man kannte das mit Resopalplatten getäfelte Lokal, und für viele aus den umliegenden Wohnblöcken war es ein zweites Zuhause. Das Essen war Hausmannskost vom Feinsten und das Bier stets frisch gezapft. Zu einem Geheimtipp in den einschlägigen Führern fehlte dem »Wia Zhaus« das gehobene Preisniveau, der Firlefanz und die Schickimicki-Besucherschicht. Das Beisl erhob nie den Anspruch, ein Restaurant zu werden. Es war, was es war, und das war gut so.
    Die Eilmeldung, die in den Vormittagsstunden über den Fernseher in der Gaststube flimmerte, traf alle

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