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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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die Telefonzentrale der Präsidentschaftskanzlei, den Teilnehmer zu ermitteln.
    »Sie wissen selbst, dass diese Republik in eine tiefe Krise geschlittert ist, und sie ist damit innerhalb der Gemeinschaft der europäischen Staaten nicht die einzige. Ich will jetzt gar nicht ins Detail gehen und Ihnen Dinge erzählen, die Sie sowieso wissen und die Sie gerade jetzt Tag und Nacht beschäftigen. Der Konsens, der lange Zeit in Österreich geherrscht hat, wurde vom Chaos abgelöst. Ermordete Minister, Volksaufstand auf den Straßen, der Bundeskanzler erschossen. Unzufriedenheit allerorten, steigende Massenarbeitslosigkeit. Denn eines wissen wir beide – die offiziellen Zahlen sind alle geschönt.«
    Der Anrufer schwieg kurz und Ebner fragte sich, wohin das Gespräch führen sollte.
    »Aber diese Fassade, die gegenüber den Bürgern krampfhaft aufrechterhalten wird, bröckelt. Gerade sind die neuesten Zahlen aus Griechenland gekommen. Das Land steht vor dem Staatsbankrott und in den anderen Ländern der EU können die Unsummen, die an die Banken geflossen sind, nur mit Steuererhöhungen und weiteren Schuldenbergen finanziert werden. Der Euro knickt an den Börsen ein. Und die nächsten tickenden Zeitbomben heißen Portugal, Italien, Irland … Welcher Mitgliedstaat wird wohl der nächste sein? Es ist ein Karussell, aus dem es kein Entrinnen gibt. Wieder werden es die Banken sein, die finanzieren, und wieder werden sie spekulieren, um angeblich durch Risikogeschäfte die Risiken bei anderen Krediten zu minimieren. Oder warum, denken Sie, wurden die Bad Banks gegründet, an die nun alle faulen Papiere und Verträge überschrieben werden? Aber dadurch werden die Verträge nicht weniger faul und die Forderungen sind nach wie vor uneinbringlich. Eine weitere Fassade.«
    Ebner musste seinem telefonischen Gegenüber zumindest ein gewisses Maß an Information und Wirtschaftsverständnis zugestehen. Trotzdem … Er hakte nach.
    »Seien Sie mir nicht böse, aber ich sehe wirklich nicht ein, warum ich mir von einem Unbekannten Vorträge über die Lage der Nation anhören sollte. Ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, diese Nummer in Erfahrung zu bringen, aber jetzt haben Sie lange genug gestört. Ich habe zu tun«, sagte der Bundespräsident entschieden.
    »Wer weiß, wie lange noch«, meinte der Anrufer lauernd. »Haben Sie sich keine Gedanken darüber gemacht, dass der Bundeskanzler trotz der höchsten Sicherheitsstufe in seinem eigenen Amt erschossen wurde? Dass die Familienministerin trotz Rund-um-die-Uhr-Bewachung in ihrem Haus umgebracht wurde? Dass der Innenminister an einer historischen Laterne baumelnd gefunden wurde, obwohl ein unerhörtes Aufgebot an Polizisten und Ordnungskräften die Wiener Innenstadt sicherte?«
    Ebner schluckte.
    »Glauben Sie wirklich, Sie sind sicher? Woher nehmen Sie diese Illusion? Vielleicht ist nach diesem Telefonat Ihre Aufgabe erfüllt und Sie werden genauso beseitigt wie die drei Politiker vor Ihnen. Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass es bei keinem der drei Morde entscheidende Fortschritte in den Ermittlungen gibt? Die Staatspolizei ist keinen Schritt weitergekommen. Sollte Ihnen das nicht zu denken geben?« Der Anrufer ließ seine Worte wirken. Er schien es nicht eilig zu haben, das Gespräch zu beenden.
    »Sollten Sie jetzt glauben, dass Ihre Telefonzentrale hektisch versucht, diesen Anruf nachzuverfolgen, dann muss ich Sie enttäuschen, Herr Bundespräsident. Sie tut es nicht.«
    Ebner glaubte inzwischen, in einem schlechten Film gelandet zu sein. Jeden Moment erwartete er, jemanden hinter den Vorhängen hervorspringen zu sehen, der lachend »Versteckte Kamera!« schreien würde.
    »Wenn Sie jetzt jemanden aus Ihrem Stab herbeizitieren, sind Sie dann sicher, dass Sie nicht Ihren Mörder hereinrufen, wie es vielleicht Bundeskanzler Richard Schumann vor wenigen Tagen getan hat? Niemand ist sicher, Herr Bundespräsident. Wir sind überall. Habe ich jetzt Ihre volle Aufmerksamkeit?«
    Als er keine Antwort auf seine Frage erhielt, sprach der Anrufer weiter und sein Tonfall war noch immer der einer Nachmittagsplauderei bei einem Kaffeekränzchen.
    Dem Staatsoberhaupt brach der Schweiß aus.
    »Wenn Sie niemandem mehr trauen können, ich meine gar niemandem, was gedenken Sie dann zu tun? Wenn ich jetzt auflege, dann ändert sich dadurch gar nichts. Seit mehr als hundertfünfzig Jahren haben Kräfte in diesem Land genau auf diesen Augenblick hingearbeitet. Wir sind da, wo Sie uns nicht

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