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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Metastasio, und vier Kinder der Kaiserin verkörperten Apollo und die drei Musen bei der im Bild festgehaltenen Aufführung. Komponiert hatte Gluck das Stück anlässlich der Vermählung des Erzherzogs Joseph, der sogar selbst dirigierte.
    Der Albtraum Narrenturm, die Handbillets und der ergebene Jauerling lagen damals noch in weiter Ferne.
    Wolfgang Ebner, achter Präsident der Zweiten Österreichischen Republik, betrachtete nachdenklich das Gemälde der Theateraufführung. Die Mitglieder der Hofgesellschaft mit Kaiser Franz I. Stephan, Kaiserin Maria Theresia, Kronprinz Joseph und dem Feldherrn Karl von Lothringen waren auf dem Bild porträtgetreu dargestellt. Auch die Überfüllung des Saales war ganz eindeutig erkennbar. Damals musste der Sohn des Obersthofmeisters Khevenhüller ohnmächtig an der offenen Bühne vorbei aus dem Zuschauerraum getragen werden, so heiß und stickig war es.
    Ebner setzte sich an diesem Mittwochmorgen wie an jedem der letzten Tage unausgeschlafen an seinen Schreibtisch in dem voll klimatisierten Büro. Die Hitze der letzten Sommertage würde vor den schusssicheren Scheiben auf dem Ballhausplatz und im Volksgarten bleiben.
    Der Mord an Bundeskanzler Richard Schumann vor zwei Tagen war der Höhepunkt der Mordwelle an Politikern aller Couleurs. Dem Staatsoberhaupt kam es vor wie ein Fanal und es beschäftigte ihn selbst in seinen Träumen. Es war der erste Mord an einem Bundeskanzler in der Zweiten Republik, der zweite in der Geschichte des Landes überhaupt. Dinge waren in Bewegung gesetzt worden, die Ebner tief beunruhigten und erschreckten. Die Insel der Seligen war in wenigen Tagen zu einem politischen Atlantis geworden. Und Ebner konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Untergang kurz bevorstand.
    Die Demonstrationen, die in der letzten Woche das Tagesgeschehen beherrscht hatten, waren zwar ausgesetzt worden und in den Straßen war es ruhig geblieben, aber das Bild des von Kugeln durchsiebten Innenministers, von einer Laterne baumelnd, verfolgte den Staatspräsidenten Tag und Nacht. Ein Wandel hatte sich vollzogen, eine beängstigend schnelle Wendung von der politischen Stabilität zu einem Treibsand an hochkochenden Emotionen.
    Der Bundespräsident überflog die Schlagzeilen der heutigen Tageszeitungen. Politikermorde, Kritik an der Europäischen Union, Bilanz der Finanzministerkonferenz und die unmittelbaren Folgen, steigende Arbeitslosigkeit und Politikverdrossenheit, Misstrauen gegenüber den Banken, denen gerade Milliardenzuschüsse gewährt wurden. Ebner schüttelte den Kopf. Die weltweite Bankenkrise, dieses Luftgeschäft mit nicht real existierendem Geld, hatte den Globus in ein größeres Chaos gestürzt, als die Verantwortlichen zugeben wollten. Es war eine Kettenreaktion eingetreten, deren Ende niemand vorhersagen konnte. Die Staatengemeinschaft hatte riesige Summen mobilisiert und sich damit bis in das nächste Jahrhundert verschuldet. Die Last, die auf den Schultern der künftigen Generationen ruhte, war in wenigen Wochen unverantwortlich angewachsen. Angesichts der aufgeheizten Stimmung schien es nicht angebracht, darüber nun eine Diskussion zu beginnen. Besser das Thema auf später verschieben, wenn die Lage stabiler geworden war und die ersten Erfolgsmeldungen nach den Rettungsaktionen die Wogen glätten würden.
    Als das Telefon auf seinem Schreibtisch läutete, griff der Präsident abwesend nach dem Hörer und hob ab, während er in der größten Tageszeitung des Landes die Vorwürfe gegen die Regierung überflog.
    »Ebner«, sagte er und blätterte um.
    »Es freut mich, dass unser Bundespräsident so zeitig bereits arbeitet«, meinte eine Stimme am anderen Ende der Leitung sarkastisch. »Haben Sie auch schon bemerkt, dass diesem Land das Wasser bis zum Hals steht und die Insel der Seligen soeben Schlagseite bekommt?«
    Der Bundespräsident war verblüfft. Die Telefonnummer des Apparates war in keinem Verzeichnis gelistet und nur seinen engsten Mitarbeitern bekannt. Und der Stimme nach war ihm dieser Mann völlig unbekannt.
    »Wer sind Sie? Wie kommen Sie auf diese Leitung?«, fragte Ebner entgeistert.
    »Das tut nichts zur Sache, mein Name würde Ihnen nichts sagen und unsere Unterhaltung unnötig komplizieren. Hören Sie mir einfach nur zu.« Der Mann am anderen Ende der Leitung war die Ruhe in Person. Ebner drückte geistesgegenwärtig auf eine Sondertaste des Telefons und das Gespräch wurde ab sofort mitgeschnitten. Gleichzeitig erging ein Alarm an

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