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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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vermuten. Wir haben jahrzehntelang Zeit gehabt, die Strukturen dieses Landes zu infiltrieren, unauffällig, unermüdlich. Heute sind wir aus dem Geschehen nicht mehr wegzudenken, wir sind unentbehrlich und allgegenwärtig. Aber wo? Jede Fehleinschätzung wäre tödlich. Die drei Morde an Panosch, Fürstl und Schumann sollten Ihnen das ins Bewusstsein bringen. Wir können den Druck der Straße jederzeit beliebig erhöhen. Tage- und wochenlange Demonstrationen, ein Generalstreik, das Chaos, der Zusammenbruch der Ordnung.«
    Ebner sah ein Szenario vor sich, das ihn an die schlimmsten Tage der Ersten Republik erinnerte. »Was hätten Sie davon?«, warf er dann ein. »Das Land wäre am Ende und die Menschen würden nicht mehr an den Staat glauben.«
    »Völlig richtig«, meinte der Anrufer zufrieden. »Doch wie ein Phönix aus der Asche würde ein neuer, starker Mann kommen, ein Retter, eine Leitfigur. Alle würden zu ihm aufsehen und sie würden wieder hoffen, glauben, etwa an eine Zukunft für ihre Kinder und an die moralischen Grundwerte, die in den letzten Jahren mit Füßen getreten wurden. Je skrupelloser man ist, desto erfolgreicher ist man, so lautet das Credo, das keiner mehr hören will.«
    »Dieses Land hat seinen Anteil an Führern in der Vergangenheit wahrlich gehabt«, gab der Bundespräsident ärgerlich zurück. »Ich bin mir sicher, dass niemand hier einer extremen Rechten nachlaufen würde.«
    »Warum nur Schwarz und Weiß?«, fragte der Mann am anderen Ende der Leitung ruhig. »Kann sich Ihre politische Phantasie keinen Zwischenweg ausmalen? Die etablierten Parteien kämpfen gegen das Versinken in einer uninteressierten und demotivierten Masse an Wechselwählern, die kurzfristigen Argumenten nachlaufen. Fühlen Sie sich politisch so sicher? Kann nicht alles morgen ganz anders sein? Vergessen Sie niemals, die stärkste politische Kraft in diesem Land sind die Nichtwähler. Wären sie eine Partei, die Zweidrittelmehrheit im Nationalrat wäre ihnen sicher …«
    Ebner schwieg. Die Tatsache, dass eine unbekannte Kraft über einen so langen Zeitraum, durch Zeiten der Krise und des Wohlstandes, in diesem Land eine Position erlangen konnte, ohne Wahlen oder Volksentscheid, das erschütterte ihn zutiefst. Er wollte den Knopf an der Gegensprechanlage drücken, um seinen Sekretär hereinzurufen, aber dann ließ er seine Hand wieder sinken. Niemand war mehr sicher …
    »Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nicht länger in Anspruch nehmen als notwendig. Mir ist bewusst, dass Sie ein volles Arbeitspensum haben. Leider wird sich der Schwerpunkt in den kommenden vierundzwanzig Stunden etwas verschieben. Prioritäten werden neu definiert, wichtige Entscheidungen anstehen. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.«
    Der Bundespräsident war am Ende seiner Geduld. »Was wollen Sie?«, schrie er und sprang auf. Dann schlug er mit der Faust auf den Tisch.
    »Wir geben Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, um uns die Regierungsgeschäfte zu übergeben beziehungsweise die von uns vorgeschlagenen Personen mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Das hängt von der Staatsform ab, die wir wählen werden.«
    »Sie haben den Verstand verloren«, flüsterte Ebner. »Das werde ich niemals tun, so wahr ich hier stehe. Niemals!«
    »Sie haben den Ernst der Lage offenbar noch immer nicht begriffen. Was wollen Sie denn dagegen machen? Der starke Mann steht bereit, es ist alles bis ins Letzte durchgeplant. Hören Sie mir gut zu. Um Ihnen eine Entscheidungshilfe zu geben und die Unfähigkeit Ihrer Regierung zu illustrieren, wird alle sechs Stunden in Wien ein geheimes Depot an Senfgasgranaten aus dem Ersten Weltkrieg explodieren. Wir sind sehr geschichtsbewusst, müssen Sie wissen.«
    Es war das erste Mal, dass sich der Anrufer so etwas wie eine Regung leistete. Er unterdrückte offenbar ein Lachen. Dann fuhr er fort, ohne Ebner zu Wort kommen zu lassen.
    »Der Ablauf der Explosionen hat ein Muster, damit auch jeder nachvollziehen kann, worum es geht. Nicht einfach vier wahllose Sprengungen, nein, hier geht es um Demonstrationen unserer Macht, aber auch Offenlegung der historischen Hintergründe. Wir sind keine gewöhnlichen Terroristen, bitte denken Sie das nicht. Wir haben einen legalen Anspruch auf die Regierung in diesem Land, das können und werden wir auch jederzeit belegen.«
    Ebner war völlig verwirrt. »Was nennen Sie einen legalen Anspruch?«, fragte er zögernd. »Sie wurden nicht demokratisch gewählt, Sie sitzen nicht im

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