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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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sich was ändert«, setzte der beleibte Mann fort und bestellte mit einer Handbewegung ein weiteres großes Bier. »Die Volksvertreter vertreten nur mehr sich selbst und ihre Gehälter in diesem Land. Egal, wo man hinschaut, es kümmert sich keiner mehr darum, was nach seiner Amtszeit passiert. Hauptsache, er geht mit einer fünfstelligen Pension nach Hause …« Er blickte in die Runde und war sich der ungeteilten Aufmerksamkeit des Lokals bewusst.
    »Warum vergessen die da oben ihre Wahlversprechen immer wieder gleich nach der Auszählung?«, fragte er niemanden im Besonderen, als der Wirt das Bier brachte und vor ihm abstellte.
    »Wenn Wahlen was ändern könnten, wären sie verboten«, warf einer ein und rülpste laut. »Egal, wo du dein Kreuzl hinmachst, es sind immer die gleichen Seilschaften …«
    Der alte Hofrat blickte angewidert auf den verwahrlosten Mann mit den struppigen Haaren. »Minderbemittelter mit fünf Buchstaben«, sagte er bitter. »Idiot!«
    »Irgendwo ist schon ein wahrer Kern drin«, besänftigte ihn der Fuhrunternehmer. »Was bitte hat es in den letzten Jahren schon Positives gegeben? Bankenkrise, Unruhen, Schulden über Schulden, einen Skandal nach dem anderen, die EU, die sich in alles einmischt und doch nichts besser weiß. Mit dem Euro ist alles doppelt so teuer und nur die Gehälter sind gleich niedrig geblieben. Ein Blick auf die Benzinpreise genügt. Und die Politiker? Die Politiker streiten sich für unser Geld, um unser Geld und verschwinden danach ebenfalls mit unserem Geld. Zahlen tun im Endeffekt eh nur wir.« Die Zustimmung aus dem gesamten Lokal war laut hörbar.
    »Ich weiß ja nicht, wie ihr denkt, aber entweder es gibt einen Wechsel da oben oder wir werden unser Österreich in ein paar Jahren nicht mehr erkennen. Dann ist unser Wien ein Klein-Istanbul und statt dem Läuten der Pummerin hören wir den Muezzin vom Steffl. Und wir werden es uns nicht mehr leisten können.« Er griff zum Bierglas. »Ich will mein Bier aber auch in Zukunft noch da trinken! Prost!«
    »Vielleicht wirst dann weniger saufen«, lallte der Arbeitslose, »tut dir sicher nicht schlecht, Rosstreiber. Dei Biergrab is eh schon a Familiengruft.«
    Das Kreuzworträtselheft flog durch die Luft und traf genau. Die beiden pensionierten Bundesbahner lachten. »Uii, der Hofrat wird handgreiflich!«, meinte einer spöttisch.
    »Bei solchen Gehirnamputierten kein Wunder«, meinte der Sektionschef aufgebracht und kippte sich die Neige seines Weinglases hinter die Binde. »Wo ist denn heute das Fräulein Tochter?«, fragte er den Wirt, der ihm unaufgefordert ein weiteres Viertel Weißwein hinstellte.
    »Die ist auf Besuch im Krankenhaus. Einer ihrer Freunde ist bei den Demonstrationen verletzt worden und sie hält ihm die Hand, damit er schneller gesund wird«, antwortete der Wirt und wischte über die blitzblanke Schank.
    »Na, wenn’s nur die Hand ist …«, murmelte der Arbeitslose und duckte sich, als er den Hofrat ausholen sah.
    »Die jungen Leut haben ja recht«, warf der Fuhrunternehmer ein. »Es is ihre Zukunft und ihr Land und wir sollten alle auf die Straßen gehen, wenn ihr mich fragt. Wir sind auch schon zu bequem geworden. Darauf bauen die da oben ja.«
    Alles nickte.
    »Aber vielleicht passiert ja jetzt was, nach den ganzen Morden. Ich spür, es tut sich was …«
    Aus der Küche kam ein Schlachtruf, der alle endgültig mobilisierte: »Essen is fertig!«
    Breitensee, Wien/Österreich
    D ie Gruppe, die auf der neuen Ledergarnitur in Pauls Remise beisammensaß, war verärgert und niedergeschlagen. Nach dem gestrigen Fiasko vor der Technischen Universität hatten Enttäuschung und Mutlosigkeit um sich gegriffen wie eine hochansteckende Krankheit.
    Ein noch grüblerischer und schweigsamer Berner als sonst war tags davor mit einem kurzen Kopfnicken vom Karlsplatz verschwunden und hatte sich nicht mehr gemeldet. Valerie war wie ein begossener Pudel auf einer der Bänke im Park gesessen und hatte sich immer wieder gefragt, wieso ihre Gegenspieler stets alle ihre Züge kannten und sie selbst nicht einmal Zeit zum Reagieren, geschweige denn zum Agieren hatten.
    Georg, scheinbar ganz in die Betrachtung der allegorischen Figurengruppe am Dach der Technischen Universität versunken, hatte an einen Baum gelehnt dagestanden, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Wer ihn so gut kannte wie Paul, der neben ihm im Gras gesessen hatte, der wusste, dass er maßlos frustriert war. Und Wagner selbst, der sonst

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