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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Zahlen, die nun nur mehr zweistellig waren, schienen ihn nicht im Geringsten zu beeindrucken. Eddy brach der Schweiß aus und er dachte daran, dass es jetzt vielleicht an der Zeit wäre zu beten, egal, aus welchen Gründen. Die Zahlen flimmerten vor seinen Augen. Er wollte etwas sagen, aber es kam nur ein Krächzen aus seiner Kehle.
    Johann zog mit dem Kästchen seine Bahnen, wie ein Schachspieler seine Figuren übers Brett. Er beobachtete dabei die rote Flüssigkristallanzeige, die den tödlichen Countdown unbeirrt herunterzählte. Es kam Eddy vor, als flimmerten die Zahlen ganz leicht. Johann lächelte dünn, drehte den Kontrollkasten rasch um, legte das Kästchen auf eine ganz bestimmte Stelle, drückte einen Knopf und richtete sich auf.
    »Ein starker Magnet«, meinte er leise erklärend zu Eddy, der noch immer den Atem anhielt. »Es gibt immer einen Schwachpunkt, Chef.«
    Dann verließ er das Brunnenhaus, ging vor die Tür und atmete tief ein. Es war genau 16:00 Uhr.
    Sozialtherapeutisches Zentrum, Ybbs a. d. Donau/Österreich
    G eorg hatte den Pizza Expresss auf dem Besucherparkplatz abgestellt und näherte sich mit zögernden Schritten dem Portierhäuschen an der Einfahrt von »Haus 1«. Zwischen den hohen Bäumen sah er die kaisergelbe Fassade des lang gestreckten, zweigeschossigen Gebäudes durchschimmern, das 1720 als Kavalleriekaserne errichtet worden war.
    Einmal Kaserne, immer Kaserne, überlegte Georg bei dem nostalgischen Anblick. Die militärischen Einrichtungen des alten Österreich mit ihren klaren, zweckmäßigen Linien hatten etwas Unverwechselbares an sich, das sie selbst in Jahrhunderten nicht verlieren konnten. Und egal, wohin man auf dem Gebiet des ehemaligen Vielvölkerstaates schaute, ob nach Norditalien, Polen oder Tschechien, man erkannte diese vertrauten Bauten meist auf den ersten Blick. Sie waren ein Stück altes Österreich, ein Teil der Heimat auf fremdem Terrain.
    Dieses Gefühl der Beständigkeit und Wiedererkennung gab Georg ein wenig Sicherheit zurück. Denn er hatte Angst. Er fürchtete sich vor dem Therapiezentrum, vor seinen Patienten und viel mehr noch vor dem Wiedersehen mit einem Freund, den er jahrelang vernachlässigt hatte. Außerdem wusste er, dass in diesen Augenblicken Paul, Valerie und Berner gemeinsam mit Eddys Team gegen die teuflische Maschinerie der Schattenlinie antraten, und er konnte nicht dabei sein. Georg schlug frustriert mit der Faust auf das Geländer des Gehweges. Er würde Paul anrufen, nach 16:00 Uhr, obwohl er auch davor Angst hatte. Was, wenn niemand dranging?
    Dieses Haus hier beunruhigte und verunsicherte ihn. Waren gewöhnliche Spitäler mit ihrem Geruch und ihrer Atmosphäre für den Wissenschaftler schon eine Herausforderung, so war ein Irrenhaus der letzte Platz auf Erden, den er sich herbeiwünschte. Heute kam er zudem nicht, um einen lange überfälligen Krankenbesuch zu machen, sondern weil er dringend Hilfe benötigte. Und so fühlte sich Sina ganz und gar nicht wohl dabei, diesmal einfach hineinzugehen, sich das zu holen, was er brauchte, und dann wieder zu verschwinden. Dazu kam, dass er keine Ahnung hatte, in welchem Zustand sich Max ihm zeigen würde. Er wusste nicht, wie es ihm ging oder was Krankheit und Medikamente inzwischen aus ihm gemacht hatten.
    Georg steckte die Hände in die Jackentaschen und hoffte inständig, dass Max etwas Klarheit in diese verworrene Sache bringen würde. Er brauchte Informationen und Hinweise auf die restlichen drei Depots, und zwar so viele wie möglich. Der Verdacht alleine würde nicht genügen. Sonst wäre alles verloren und vielleicht war es das auch schon, dachte er sich und bemerkte, dass seine Hände zitterten.
    Also rettete er sich in seiner Nervosität auf bekanntes Gelände, auf den festen historischen Grund der Fakten. Er erinnerte sich, was er dank Pauls Blackberry in aller Kürze im Internet über dieses Gelände erfahren hatte. Niemand anderer als Kaiser Joseph II. hatte diese Einrichtung 1780 in ein staatliches Versorgungshaus verwandelt, knapp bevor er den Narrenturm in Wien gebaut hatte. Seit 1859 wurde es vom niederösterreichischen Irrenfonds verwaltet. Allein das Wort schickte ihm Schauer über den Rücken.
    Einmal mehr wunderte er sich über die Zusammenhänge. Die scheinbar blinden Zufälle, die sich vereinten und ein Bild zeichneten, in dem gar nichts ohne Plan geschehen wollte. Es erinnerte ihn an das Geheimnis Friedrichs und er hasste einmal mehr diese wachsende Paranoia, der er

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