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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Fernseher geheftet, über dessen Bildschirm eine Spielshow flimmerte. Der Aschenbecher in ihrer Mitte quoll fast über. Etwas abseits bemerkte Georg einen Mann, der auf einem Sessel vor dem geöffneten Fenster ein Buch las. Er entsprach am ehesten dem Bild eines Aufpassers.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sprach Georg ihn an, »ich suche den Patienten Max Werfling. Könnten Sie mir sagen, wo ich ihn wohl finde?«
    Der Angesprochene sah ihn mit großen Augen an, lächelte freundlich, legte sein Buch zur Seite und wandte sich dann an eine Figur aus Lego-Bausteinen, die neben ihm auf einem weiteren Stuhl saß und die Georg gar nicht bemerkt hatte.
    »Hast du gehört, Harro?«, fragte er den Lego-Mann im Plauderton. »Der Max hat Besuch. Der Mann weiß noch nicht, dass wir hier alle per Du sind. Nur die Ärzte siezen wir. Stimmt’s, Harro?«
    Sina verkrampfte sich der Magen. Mit sicherem Griff an den Falschen geraten, dachte er sich. Georg, jetzt sei nicht kindisch, der ist doch nett, beruhigte er sich andererseits und versuchte es noch einmal. »Entschuldige, das wusste ich wirklich nicht. Ich bin Georg. Ich suche meinen Freund Max Werfling.«
    »Macht ja nichts. Stimmt’s, Harro?«
    Der Patient sah den kleinen Mann aus bunten Steinen aufmerksam an und nickte dann. Er hob die Figur auf, hielt sie wenige Zentimeter vor seine Augen und blickte ihr direkt ins kantige Gesicht.
    »Harro, weißt du, wo der Max gerade ist?« Er legte den Kopf schief, hielt sein Ohr an die Figur und tat so, als würde er ihr zuhören.
    »Nein? Das ist schade. Ja, ich habe ihn auch zum letzten Mal um halb drei bei der Entspannungstherapie gesehen. Aber du hast recht, Georg sollte besser im Stationsstützpunkt fragen. Die wissen sicher, wo der Max unterwegs ist.«
    »Vielen Dank, Harro und …?«, erwiderte Georg.
    »Gernot«, ertönte es rasch.
    »Danke, Harro und Gernot«, erwiderte Sina und eilte zurück auf den Gang. Seine Nerven lagen blank. Der redet mit einer Lego-Figur und mir läuft die Zeit davon, schoss es ihm durch den Kopf. In Wien ticken vier Bomben, während ich hier Konversation mit Irren mache. Wo war dieser verdammte Stationsstützpunkt?
    »Grüß Gott, kann ich Ihnen helfen?«, sprach ihn eine blonde Frau in hellblauen Jogginghosen an.
    »Hallo, ich bin Georg … Sind Sie …? Ich meine, bist du eine …«, stotterte Georg.
    Die Frau lachte und streckte ihm die rechte Hand entgegen. »Hallo, ich bin Viktoria. Und ja, ich bin eine Pflegerin.«
    Sina erwiderte zögernd den Gruß.
    »Keine Angst, du kannst mir schon vertrauen.« Viktoria legte den Kopf zur Seite. »Du bist wohl das erste Mal hier bei uns, Georg?«
    »Ja, Sie, ähh … du hast recht. Das sieht man mir wohl an … Ich bin Professor Georg Sina und suche meinen Freund Doktor Max Werfling.« Georg versuchte seine Gedanken zu ordnen.
    »So so, den Max suchst du. Der ist unten im Park. Ich bringe dich zu ihm.« Viktoria nahm Georg mit festem Griff am Arm und er kam sich plötzlich vor wie einer der Patienten hier.
    »Danke, das ist sehr freundlich von dir, Viktoria«, murmelte er und folgte ihr erst aus dem Haus, dann über eine Wiese in Richtung der hohen Bäume, in deren Ästen der Wind rauschte.
    In einiger Entfernung konnte Sina Sportplätze sehen. Auf einem Feld standen sich zwei Mannschaften gegenüber. Ein Ball sauste durch die Luft und traf einen der Mitspieler auf der Brust. Nach einer erstaunlich langen Schrecksekunde hob der Getroffene die Arme, bewegte die Hände so, als wollte er das Geschoss fangen, das aber bereits munter über den Boden hüpfte und von einem anderen Spieler aufgehoben wurde.
    Viktoria zeigte auf eine Bank am Ufer der Donau, auf der ein Mann saß und aufs Wasser schaute. Ein aufgeschlagenes Buch lag in seinem Schoß.
    »Das dort ist Max. Er sitzt fast immer am gleichen Platz, nahe am Fluss, und betrachtet die Wellen, wenn er nicht gerade liest.«
    »Was liest er denn so?«, hakte Sina nach.
    »Ach, das ist ganz verschieden«, antwortete Viktoria achselzuckend, »meist Sachbücher, immer historische Themen und dazu noch viel Philosophie.«
    »Er kann es nicht lassen«, schmunzelte Georg.
    »Du, Viktoria, entschuldige bitte …«, ertönte da eine dünne Mädchenstimme hinter ihnen.
    »Ja?«
    Viktoria und Georg drehten sich nach dem dürren Mädchen um, das plötzlich zu ihnen gelaufen war. Sina stockte der Atem. Das schmale, weiße Gesicht der jungen Frau wirkte zwischen ihren dunklen Haarsträhnen totenblass. In der einen Hand hielt sie

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