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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Polizei anrufen, um sie abzuholen«, beschwerte sich Burghardt demonstrativ. »Bin ich schon so tief gesunken?«
    »Nein, Burgi, aber du bist der Einzige, dem wir vertrauen können«, sagte Berner leise und sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er es verdammt ernst meinte.
    »Ich bin in fünfzehn Minuten da«, sagte Burghardt kurz. »Treffpunkt Meidlinger Tor.« Dann legte er auf.
    Sozialtherapeutisches Zentrum, Ybbs a. d. Donau/Österreich
    M ax und Georg saßen nebeneinander auf der Bank am Donauufer und blickten auf den Strom hinaus. Die Sonne glitzerte auf den Wellen, Insekten schwirrten vorbei und gelegentlich unterbrach Vogelgesang das Rauschen der Blätter im Wind. Leise klatschte die Strömung an die Steine der Uferbefestigung. Der Geruch des Wassers erfüllte die abkühlende Luft.
    »Du sitzt also oft hier?«, fragte Georg vorsichtig und dachte daran, dass er so rasch wie möglich Paul anrufen musste.
    »Ja.« Max wandte seinen Blick nicht vom Wasser ab. »Im Frühjahr hatten wir eine Überschwemmung, das war sehr beruhigend.« Er drehte sich Sina zu und bemerkte seinen fragenden Blick. »Ich bin hier gestanden oder gesessen und habe zugesehen, wie der Pegelstand gestiegen ist. Jeden Tag ein wenig mehr, bis die Donau schließlich über die Ufer getreten ist. Das war eine reale, elementare Bedrohung. Ein Fluss außer Kontrolle, kein Symptom der Krankheit, kein Problem in und aus meinem Kopf. Verstehst du?«
    »Ich glaube schon«, antwortete Georg und verstand besser, als ihm lieb war. »Wie geht es dir? Fühlst du dich hier wohl?«
    Max lachte in sich hinein. »Wohlfühlen? Ja und nein. Es ist ein Auf und Ab. Möchtest du eine höfliche, ausweichende Antwort wie die meisten Leute draußen oder willst du wirklich wissen, wie es mir geht? Weißt du, was mich am meisten fertigmacht?« Er blickte Sina auffordernd an.
    Der Wissenschaftler schüttelte stumm den Kopf und schlug die Beine übereinander.
    »Was mich am meisten Kraft kostet, ist die ständige Frage nach meinem Befinden. Dieser ständige Zwang zur Reflexion«, erklärte Werfling und richtete seine Augen wieder auf den Strom. »Die Therapeuten haben den Auftrag, ständig in mich hineinzuschauen. Aber man kann in einen Menschen nicht hineinschauen. Also bin ich gezwungen, die Grenze von innen und außen aufzuheben. Ein Beispiel …«, meinte Max und legte Georg kurz seine Hand auf den Schenkel. »Wir sitzen und schleifen Specksteine. Das musst du dir bildhaft vorstellen, ein Haufen Erwachsener sitzt im Aufenthaltsraum und feilt an fettigen und staubigen Steinen, wie die Volksschüler. Ich werkle natürlich auch herum, denke mir im Grunde gar nichts dabei. Aber schon beugt sich ein Pfleger über mich, fragt, was ich da mache, und erklärt mir dann auch noch, warum ich es tue. Ich laufe den ganzen Tag herum wie ein umgestülptes Hemd. Das ist das Einzige, was mich fertigmacht, dieses dauernde Aufmachen statt Zumachen, weil es das genaue Gegenteil vom Leben draußen ist.«
    Georg strich sich nervös über seinen Bart. »Max, ich brauche deine Hilfe«, setzte er an. »Du warst lange Zeit Kirschners Assistent und engster Vertrauter …«
    »Ich weiß, sonst wärst du nicht gekommen.« Werfling zeigte keine Regung und fixierte einen Vogel, der über die Wellen schoss, um Mücken knapp über der Wasseroberfläche zu fangen. »Hast du sie schon einmal gehört?« Er verschränkte die Arme über der Brust und wirkte ein wenig geistesabwesend.
    »Wen?«, wunderte sich Sina.
    »Die Stimme der Donau«, erklärte Werfling. »Halt einmal deinen Kopf unter das Wasser. Du kannst auch eine Metallstange oder ein Ruder in die Strömung halten und dann leg dein Ohr dran. Dann kannst du sie hören. Es ist ein leises Sirren.«
    »Das ist doch …«, runzelte Georg die Stirn, aber er bremste sich rechtzeitig ein.
    »Verrückt?« Werfling zog die Brauen zusammen. »Esoterik? Ihr Zivilisten seid schon komische Leute. Nein, es ist Physik.«
    Max stand auf und deutete mit beiden Armen über die Donau. »Tausende Tonnen Wasser wälzen sich in diesem Augenblick über Schotter und Steine. Sie alle vibrieren und reiben sich aneinander. Es entstehen Schallwellen, also ein Geräusch.« Werfling grinste. »Was euch nicht auf den ersten Blick ins Konzept passt, kann es nicht geben. Ihr lehnt es so ab, dass ihr es wahrscheinlich nicht einmal hören könnt.« Er stellte sich breitbeinig vor Georg und sah ihm direkt in die Augen. »Jetzt fragst du dich bestimmt, warum ich dir das

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