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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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unglaublich reich. Einige seiner Zeitgenossen behaupteten, er sei zeitweise sogar reicher als der Kaiser selbst gewesen, und das wollte damals schon was heißen …« Die Begeisterung war aus der Stimme des Butlers unschwer herauszuhören. »Zuerst wohnte er in Pest in Ungarn, besaß da eine Fabrik und produzierte Schuhe. Im Jahr 1832 kaufte er schließlich hier Schloss und Gut Wetzdorf. Seine einzige Prämisse für den Kauf des Anwesens war, dass sein zukünftiger Besitz an der Straße nach Znaim liegen sollte.«
    »Weiß man, warum?«, unterbrach ihn Wagner.
    »Wahrscheinlich wegen der Lieferwege«, erklärte der Butler. »Aus Znaim kam damals nicht nur Wein, sondern auch die berühmten eingelegten Gurken und später auch der erste Würfelzucker.«
    Nachtigall durchquerte eine schmutzige Küche mit ein paar achtlos verteilten Stühlen, öffnete eine weitere Türe und knipste das Licht in einem muffigen Büro an, während er pausenlos weitersprach. »Die riesigen Keller haben Sie ja schon bei ihrem ersten Besuch bei uns gesehen. Der neue Besitzer des Anwesens ließ die Gewölbe ausheben und mauern, um dort Lebensmittel, Wein und andere verderbliche Güter zu lagern. Bis auf die Kapelle und die schmale barocke Prunkfassade mit dem Tor in den Hof hat er das historische Schloss komplett abreißen und durch einen zweigeschossigen Neubau ersetzen lassen.«
    Schließlich versiegte sein Redefluss. Der Raum, in dem sie standen und in dessen Mitte sich zwei wuchtige Schreibtische Kopf an Kopf gegenüberstanden, sah nicht besser aus als die beiden vorigen Räume. Die ehemals weißen Wände waren grau, die Regale und Fensterbretter waren staubig. Alles hier schien förmlich nach der dringend notwendigen Renovierung zu schreien. Nur einige moderne Geräte wie Telefon, Kopiergerät und ein einsamer Monitor zeigten, dass der Arbeitsplatz tatsächlich noch in Gebrauch war. Das Porträt eines spitzbärtigen Mannes im grauen Anzug, der Mode nach von der vorigen Jahrhundertwende, blickte streng auf die beiden Tischplatten herunter. Tschak schnüffelte an einem vollen Papierkorb.
    Nachtigall erriet die Gedanken seiner beiden Besucher. »Ja, da haben wir noch ein Bauprojekt vor uns«, schmunzelte er. »Aber der Vorteil ist, dass diese Räume noch unverfälscht und original aus der Zeit des Herrn Pargfrieder sind.« Er schmunzelte. »Na gut, bis auf das Büro. Es stammt aus seiner Zeit.« Der Butler zeigte auf das Gemälde. »Wie auch so manch anderes …« Das Gesicht des alten Mannes verfinsterte sich kurz, dann fuhr er wieder unbeschwert fort: »Den Raum teilen sich der Verwalter und ich. In der Küche da drüben sitzen wir oft mit den Arbeitern zusammen. Zum Kaffeetrinken und Plaudern, Sie wissen schon, das Übliche …«
    Nachtigall humpelte durch den Raum auf eine weiß lackierte Tür zu. »Ab hier wird es jetzt besser. Ich darf Sie aber bitten, leise zu sein, damit wir niemanden aufwecken.« Der Butler steckte einen Schlüssel in das Türschloss und drehte ihn um.
    »Wer ist denn sonst noch da?«, hakte Paul interessiert nach.
    Nachtigall warf ihm einen entrüsteten Blick zu. »Ich habe nicht gesagt, dass noch jemand da ist, Herr Wagner. Wollen Sie die Räume sehen oder nicht?«
    Der Reporter hob beschwichtigend beide Hände, dann drehte er sich zu Georg um und rollte mit den Augen. Der Wissenschaftler zuckte nur mit den Schultern und betrachtete weiter das Ölgemälde.
    »Das muss ja ein Vermögen gekostet haben …«, bemerkte Wagner später bewundernd, als sie durch die komplett wiederhergestellten Trakte des Schlosses gingen. An den farbig tapezierten Wänden der Gänge hingen Landschaften und Stillleben in Öl sowie historische Drucke, die Napoleon Bonaparte zeigten und seine Siege verherrlichten.
    »Der Herr Pargfrieder war ein großer Bewunderer von Napoleon, müssen Sie wissen«, sagte Nachtigall, ohne sich umzudrehen.
    »Und dann baut er ein Denkmal für die österreichische kaiserliche Armee? Ziemlich widersprüchlich, der Gute, finden Sie nicht?«, stellte Sina trocken fest und musterte jeden Druck einzeln.
    »Ja, so war er eben … Im Park hat er mehrere Obelisken errichten lassen, ein jeder stand für einen Triumph des Kaisers der Franzosen, der Europa eine neue Ordnung geben wollte.« Der Butler lächelte versonnen.
    Der tut grade so, als hätte er den alten Pargfrieder persönlich gekannt, fuhr es Paul durch den Kopf. »Was ist in all den Räumen und Zimmern?«
    »Das meiste sind Gästezimmer. Die Familie wohnt nur

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