Narr
im vorderen Teil.« Nachtigall wies mit ausgestrecktem Finger die vielen Türen an beiden Seiten des langen Flures entlang. Dann blieb er vor einem Ölgemälde stehen. »Und hier nun sehen sie ihn höchstpersönlich. Das ist Joseph Gottfried Pargfrieder.«
Der Dunkelhaarige mit Adlernase auf dem Gemälde schien sie fragend und auch ein wenig hinterlistig anzusehen. Er lächelte verschmitzt und trug eine bunt gemusterte Weste unter einem weiten grauen Stoffmantel. Sein Porträt vermittelte den Eindruck eines wohlhabenden und zufriedenen Mannes, der mit beiden Beinen voll im Leben stand. Seine Augen fixierten seine Betrachter. Ich kenne dein Geheimnis, schien er zu sagen, du brauchst Geld, und zwar meines …
»Wie war er so? Ich meine, als Mensch. Weiß man das?« Wagner verschränkte die Arme vor der Brust und musterte das Bild genau. Im Hintergrund erkannte er das Schloss und die weitläufigen Parkanlagen.
»Unser Herr Pargfrieder war, wenn ich das sagen darf, ein komischer Kauz«, kicherte Nachtigall und verbeugte sich entschuldigend vor dem Gemälde. »Er finanzierte zahlreiche soziale Einrichtungen, stellte sie der Bevölkerung gratis zur Verfügung und ließ trotzdem nie einen Zweifel offen, von wem das alles kam. Wer zahlt, schafft an. Das war sein Credo. So berichtet es zumindest die lokale Tradition.«
»Also ein mächtiger Mann oder irre ich mich? War er von Adel?« Wagner wandte sich dem alten Mann zu.
»Aber was denken Sie?« Nachtigall machte eine abwehrende Handbewegung. »Er ist buchstäblich aus dem Nichts aufgetaucht. Kein Mensch weiß, woher er kam. Doch er hatte Geld und dann belieferte er plötzlich die Armee und schien über unbegrenzte Verbindungen zu verfügen. Neudeutsch würde man ihn wohl einen geschickten Lobbyisten nennen. Einer seiner engsten Freunde war der legendäre Feldmarschall Radetzky.«
»Und Sie meinen wirklich, die Freundschaft zu Radetzky hätte dafür ausgereicht?«, unterbrach ihn Georg. »Undenkbar wäre es nicht, schließlich hatte die Armee unter seiner Führung im Jahr 1848 für Franz Joseph das Reich, zumindest in Italien, gerettet.«
»Nein, das glaube ich nicht, da steckt noch viel mehr dahinter«, antwortete Nachtigall und lächelte. »Herr Pargfrieder hat aus seiner ungeklärten Abstammung ein Geheimnis gebaut. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der ganze Garten nimmt verschlüsselt Bezug darauf.«
Also hatte ich recht, dachte der Wissenschaftler. Entweder war dieser Armeelieferant selbst Ilioneus oder einer seiner direkten Vorfahren.
»Er hat zeit seines Lebens behauptet, ein Sohn Kaiser Josephs II. zu sein. Wann oder wo er geboren worden ist, das ist unbekannt. Es muss irgendwann in den späteren Achtzigern des 18. Jahrhunderts gewesen sein.« Nachtigall sah zuerst Wagner, dann Sina an. »Einige behaupten, er sei das Kind einer Försterstochter gewesen. Andere möchten beweisen, dass er der Sohn einer ungarischen Gärtnerin auf Schloss Hof im Marchfeld war, wo sich Joseph II. oft und gerne aufgehalten hat. Ein paar abstruse Ideen haben aus seiner Mutter sogar eine Jüdin gemacht, weil Schloss Hof auch jüdische Gärtner beschäftigt hat. Die Nazis wollten Herrn Pargfrieder deshalb sogar exhumieren, weil ein Jude mit seinem Grab das Denkmal der Armee besudeln würde. Aber das ist alles Unsinn … Die engen Verbindungen zwischen Herrn Pargfrieder und Ungarn sind allerdings offensichtlich. Unbestritten ist jedenfalls der Umstand, dass seine Mutter ihm den Namen seines Vaters, nämlich Joseph, gegeben hat. So hat sie es ihm selbst erzählt …«
»Aber das ließe sich heute doch ganz einfach überprüfen …«, unterbrach ihn Sina ungeduldig, dem das ständige ›Herr‹ vor dem Namen des ehemaligen Hausherrn auf die Nerven ging. »Man bräuchte doch nur einen Gentest zu machen.«
Der alte Mann winkte ab. »Ja, theoretisch haben Sie natürlich recht, Professor. Aber praktisch ist das vollkommen unmöglich, weil die Familie Habsburg-Lothringen vehement solche Tests verweigert.«
»Aber gibt es für diesen Anspruch denn überhaupt irgendwelche schlüssigen Hinweise?«, hakte Wagner nach.
»Unmengen …«, lachte der Butler. »Auf beinahe jedem Bauwerk hier im Park, auf seinem Sarg, auf dem Löwentor, überall hat Herr Pargfrieder sein legendäres Kürzel anbringen lassen, in dem er klarstellt, ein Sohn Kaiser Josephs zu sein. Aber ein Dokument, das seine Abstammung hieb- und stichfest beweisen könnte, blieb uns die Geschichte bis zum heutigen Tag
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