Narr
Chauffeur des Militärkommandanten ein Zeichen, kletterte in den requirierten Steyr, reichte dem Fahrer die Anschrift und sie machten sich auf den Weg.
Schwarzhändler, Schieberbanden und zwielichtige Gestalten prägten über weite Teile das Bild des Nachkriegs-Wien. Bereits wenige Wochen nach dem Ende der Kampfhandlungen hatte sich im Untergrund ein Netz von Händlern und sogenannten »Organisierern« gebildet, die blitzschnell und gegen meist horrende Preise alles beschaffen konnten. Die Stadt war angeschlagen, die Menschen standen vor dem Nichts und brauchten alles. Jedes fünfte Haus in Wien war zerstört worden, fast 87000 Wohnungen galten als unbewohnbar. Im Stadtgebiet zählte man mehr als dreitausend Bombentrichter, viele Brücken lagen in Trümmern, Strom, Gas und Wasser gab es in manchen Stadtteilen nur stundenweise oder gar nicht.
So entstand ein gut funktionierender Schwarzmarkt, auf dem alles gehandelt wurde, was sich zu Geld machen ließ – Informationen oder Kaviar, Menschen oder Alkohol, Medikamente oder Verbindungen. Riesige Vermögen entstanden über Nacht. Wer wusste, wo es was zu holen gab, hatte bereits gewonnen. Die Aussicht auf das schnelle Geld lockte und Wien wurde rasch zu einem Sammelbecken entwurzelter und zwielichtiger Existenzen, Schleichhändler, denen ein Menschenleben weniger galt als ein Kilo Butter.
Solowjov ging in Gedanken noch einmal das Gespräch mit Konjew durch. Unter ihm zog die Donau vorüber, als sie den Fluss auf einer Behelfsbrücke überquerten und der Steyr über die Holzbohlen ratterte. Die Schweinwerfer des Wagens bohrten sich in die Dunkelheit, der Fahrer wich geschickt riesigen Löchern aus, ohne zu bremsen.
Als er rechts in Richtung Alte Donau abbog, kamen Solowjov Bedenken, dass sich der Chauffeur verfahren hatte. Aber dann schob sich eine riesige Kirche in sein Blickfeld, die den Krieg beinahe unbeschadet überstanden hatte, und Maxim wusste, dass sie fast da waren. Sie fuhren an dem Dom vorbei und hielten kaum hundert Meter weiter vorn, in einer Seitenstraße, direkt im Schatten eines zerbombten Hauses. Eine ganz dünne Mondsichel hing am wolkenlosen Nachthimmel, der mit Sternen übersät war.
Es war still, als Solowjov ausstieg und dem Fahrer bedeutete, nicht auf ihn zu warten, sondern zur Kommandantur zurückzukehren. Dann ging er ein Stück des Weges zurück, den sie gekommen waren, zog den Zettel aus der Tasche und kontrollierte zur Sicherheit nochmals die Hausnummer.
Der Eingang in das mit Holzbrettern verbarrikadierte Gebäude, das dem Wappen über dem Tor nach früher einmal ein Handelshaus gewesen sein musste, war dunkel und stank nach Urin. Maxim lehnte sich gegen den Türflügel und das Quietschen der Scharniere klang weit durch die Nacht.
Augenblicklich tauchten vier Schatten aus der Dunkelheit auf und umringten ihn. »Genosse Solowjov? Wir müssen uns beeilen, kommen Sie rasch. Die Bande kann jeden Augenblick eintreffen.« Der pockennarbige Mann in Uniform nahm ihn am Arm und zog ihn fort, zur Kellertreppe. Die anderen drei folgten stumm, die Hände in den Taschen ihrer langen Mäntel. Es waren Männer vom Geheimdienst, wie Konjew erklärt hatte, Verbindungsleute zwischen Besatzung und der provisorischen österreichischen Regierung.
Der Informant, der dem russischen Stadtkommandanten den Tipp mit dem riesigen Lager unter der Erde gegeben hatte, öffnete eine große Doppeltür, von der aus eine schräge Rampe weiter hinunter in den Keller führte. Feuchte und stickige Luft schlug ihnen entgegen und Solowjov musste achtgeben, um auf dem Weg nach unten nicht auszurutschen.
Gott sei Dank funktioniert das Licht, dachte er sich und erkannte im fahlen Schein der staubigen Glühbirnen Dutzende Holzkisten mit Adler und Hakenkreuz. Er hob einen der Deckel und sah Lagen von Stielhandgranaten, die im Licht matt glänzten.
»Das war vor dem Anschluss eines der größten Handelshäuser für ausländische Spirituosen«, flüsterte der Pockennarbige, »fest in jüdischer Hand seit Generationen. Dann wurde es zwangsarisiert und von einem Wiener Parteigenossen übernommen, der seit Mai spurlos verschwunden ist. Die ehemaligen Besitzer blieben in Buchenwald und Mauthausen.« Er verstummte und wies mit einer Handbewegung tiefer in den Keller hinein. Solowjov ging weiter und aus dem Dunkel tauchten lange Reihen von mannshohen Fässern auf, die teilweise in zwei Etagen übereinandergeschichtet waren und einen Duft von Eiche und Gerste verbreiteten. Manche
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