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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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sind nach dem Krieg spurlos verschwunden. Zudem ist der englische Garten total verwildert, dann wurde die Eisenbahntrasse gebaut.« Die Feststellung klang wie ein einziger Vorwurf.
    »Ach ja, die Eisenbahntrasse«, murmelte Paul. »Das muss ein trauriger Einschnitt gewesen sein.«
    »Sie teilt das Anwesen wie mit dem Lineal geschnitten in zwei Teile«, Nachtigall klang verärgert. »Erinnern Sie sich an das Porträt über meinem Schreibtisch? Wissen Sie, die Erben dieses Barons waren nicht immer so fleißig, wie es Herr Pargfrieder gewesen ist. Wenn nur einer arbeitet und der Rest glaubt, vom Vermögen endlos leben zu können, da kommt eines Tages das böse Erwachen und plötzlich braucht man Geld … Sie verstehen? Damit kam die Eisenbahn.«
    »Ja. Ich kann es mir lebhaft vorstellen«, brummte Georg und sah im Geiste eine Horde Lebemänner und Salondamen vor sich, die das mühsam verdiente Geld ihrer Vorfahren verprassten, und andererseits die Arbeiter, die eine Bahnlinie durch den Park trassierten.
    Im Mischwald aus Akazien und Föhren sangen die Nachtvögel. Die leichte Brise war kühl und die blaue Nacht wirkte beruhigend auf die drei Männer, die vom Schloss hinauf zur Gedenkstätte marschierten. Über den Stoppelackern war der Blick auf einen makellosen Sternenhimmel frei, wie es ihn im Spätsommer oft in Niederösterreich gibt.
    Paul Wagner sah sich um, atmete die frische, nach Wald duftende Nachtluft ein und genoss den Spaziergang im Mondlicht. Tschak stöberte im Unterholz, Nachtigall humpelte schweigend neben dem Reporter und Georg stapfte, die Hände tief in den Hosentaschen, hinter den beiden her. Er schien noch immer überaus nervös und angespannt zu sein.
    »Hören Sie? Ein paar Namensvettern von Ihnen singen in den Bäumen«, unterbrach Georg das Schweigen. »Vielleicht spielen sie ja ein paar verschleierten Mänaden zum Tanz auf und wir können sie nur nicht sehen?«
    Nachtigall blieb stehen, drehte sich um und antwortete ruhig: »Vielleicht, Professor, vielleicht. Aber man muss sich ihrer erst würdig erweisen, um sie sehen zu dürfen.« Dann humpelte er wieder weiter.
    »Arschloch!«, brummte der Wissenschaftler in seinen Bart. Da ertönte plötzlich Wiehern in der Dunkelheit und Tschak spitzte die Ohren.
    »Schau an, jetzt geistert es. Gleich kommt Herr Pargfrieder geritten«, ahmte Paul den Butler nach. »Vielleicht bekomme ich doch noch ein Interview mit dem ehemaligen Hausherrn?«
    »Ich muss Sie enttäuschen, Herr Wagner«, stieß Nachtigall spöttisch hervor. »Sie müssen noch ein Weilchen mit mir vorliebnehmen. Das waren nur die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule, die da drüben ein Sommerquartier haben.«
    »Ein schönes Plätzchen haben sich die Schimmel da ausgesucht«, bemerkte Paul, um den alten Herrn wieder versöhnlich zu stimmen. Das blieb nicht ohne die erhoffte Wirkung. Nachtigall erzählte voll Stolz von der Eleganz der weißen Hengste und Stuten, die am Heldenberg ihre Sommerfrische verbrachten.
    Die drei Männer bogen bald vom Hauptweg ab und schlenderten zwischen hohen Büschen und Kiefern auf ein Tor in der Umzäunung der Gedenkstätte zu. Einige Lampen spendeten ein schwaches Licht, in dem zwei Ilioneus-Abgüsse ihre Schatten links und rechts der Einfahrt warfen.
    Im Waldboden entdeckte Tschak einige tiefe überwachsene Krater. »Was sind das für Löcher?«, erkundigte sich Georg sofort, nachdem der Hund zwischen den Brennnesseln und Brombeeren in dem Loch verschwunden war.
    Nachtigall zeigte auf die Sockel, bevor er aufschloss. »Der helle Stein, auf dem die Figuren und Statuen stehen, wurde direkt vor Ort gebrochen. Zur Zeit der Errichtung des Heldenberges war hier sogar eine eigene Gießerei untergebracht, um die zahlreichen Zinkgüsse innerhalb der Zeitvorgabe fertigstellen zu können.«
    »Wow!« Paul pfiff durch die Zähne, während der Butler die Flügel des Tores aufzog. »Der gute Pargfrieder hat weder Kosten noch Mühen gescheut. Das klingt allerdings auch nach ziemlicher Eile. Wie lange hat man denn am Heldenberg gebaut?«
    »Ein Jahr«, antworte der Alte knapp.
    »Ein Jahr für hundertneunundsechzig Figuren?« Der Reporter war ehrlich erstaunt.
    »Und die beiden Grüfte und die Säulenhalle und die beiden Siegessäulen … Und es sind authentische Porträts.« Nachtigall sperrte sorgfältig hinter Georg das Tor wieder ab.
    »Warum war er so in Eile?«, erkundigte sich Paul und versuchte mit Nachtigall Schritt zu halten, der zielstrebig auf einen wuchtigen

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