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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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war, in vier Zonen aufgeteilt. Vor einer Woche dann hatten die Amerikaner, Briten und Franzosen ihre Hauptquartiere in der Stadt an der Donau bezogen. Die »Vier im Jeep« sollten für die nächsten zehn Jahre zum Stadtbild gehören wie das Riesenrad, Schönbrunn und der Stephansdom.
    Konjew, hochdekorierter Marschall der Sowjetunion, hatte im Mai 1945 Prag befreit, war mit siebenundvierzig Jahren zum Oberbefehlshaber der zentralen Gruppe der sowjetischen Landstreitkräfte in Österreich und Ungarn ernannt worden und damit in das altehrwürdige Palais am Ring eingezogen. Der große, selbstbewusste Offizier mit dem kahl rasierten, kantigen Schädel und den stets lächelnden Augen lebte gerne in Wien. Er verstand sich mit den anderen drei Hochkommissaren bestens, hatte einen rasanten Aufstieg hinter und eine vielversprechende Karriere vor sich.
    Als es an der reich geschnitzten Tür seines Büros klopfte, drehte sich Konjew nicht um. Er rief laut »Priori!« und lächelte. Er wusste, wer sich angemeldet hatte. Maxim Michajlowitsch Solowjov, der den Endkampf um Wien mitgemacht und sich durch sein umsichtiges Vorgehen im Umgang mit der Zivilbevölkerung ausgezeichnet hatte, war nach Kriegsende dank seiner hervorragenden Deutschkenntnisse in nur wenigen Monaten zu einem unverzichtbaren Mitstreiter Konjews geworden. Und der russische Hochkommissar mochte den hageren Poeten aus Jekatarinenburg, der stets auf gute Umgangsformen bedacht war.
    Der Mann, der in der tadellosen Uniform und den auf Hochglanz polierten Stiefeln das Büro Konjews betrat, hatte nichts mehr mit dem abgerissenen, erschöpften und halb verhungerten Soldaten gemein, der sich noch vor fünf Monaten betend durch die Straßen Wiens gekämpft hatte. Solowjov war durch die Fronterfahrung zwar geprägt, aber nicht zerstört worden. Er hatte mit dem Krieg abgeschlossen, die grausamen Erinnerungen und blutigen Bilder gut verpackt in die Schubladen seines Erfahrungsschatzes verstaut und nur mehr nach vorne geblickt. Lediglich in einigen Nächten, wenn die Toten keine Ruhe gaben, kamen die Albträume zurück. Dann schlug er mit dem Kopf gegen die Wand, bis ihm das Blut über das Gesicht rann und sich mit den Tränen vermischte.
    Solowjov schloss leise die Tür, knallte die Hacken zusammen, die gebürstete Tellerkappe unter dem Arm, und wartete.
    »Maxim, wie schön, dass Sie da sind«, sagte Konjew und wandte sich seinem Besucher zu. »Stehen Sie bequem. Wie geht es Ihrer Mutter?«
    »Danke, General, gut. Sie hat sich einen kleinen Garten hinter dem Haus angelegt und freut sich über die ersten Brombeeren und ein wenig Mais.« Solowjov tastete unbewusst nach dem Amulett, das er durch sein frisch gebügeltes Hemd spürte. Es war nur mehr eine Geste, ein Ritual und eine Frage der Zeit, wann er das erste Mal vergessen würde, es umzulegen.
    Mit einer kurzen Handbewegung lud der russische Hochkommissar Solowjov ein, Platz zu nehmen. Auf dem intarsierten Tisch der Biedermeier-Sitzgarnitur blubberte ein silberner Samowar vor sich hin und eine halb volle Flasche Wodka, umringt von benutzten Gläsern, zeugte von den letzten Besuchern, einigen Offizieren des Generalstabs.
    Konjew schenkte seinem Besucher ein und dann begann er mit seinen Instruktionen.
    Als der hagere Soldat zwei Stunden später aus dem Palais Epstein trat, war es dunkel geworden. In seiner Tasche trug Solowjov einen viersprachigen Befehl, dessen erste Zeile »Gefahr im Verzug« lautete. Angehörige aller vier Besatzungsmächte wurden darin aufgerufen, den »neuen russischen Beauftragten zur Bekämpfung des illegalen Handels mit unregistrierten oder herrenlosen Warenbeständen« nach besten Kräften zu unterstützen. Maxim lächelte zufrieden. In einer Zeit der knappen Rationen und sorgsam gehüteten Lebensmittelkarten konnte er beruhigt in die Zukunft blicken. Konjew hatte angedeutet, dass er mit Erfolgshonoraren in Form von »Naturalzuwendungen«, wie er es genannt hatte, nicht geizen werde.
    Der einzige Wermutstropfen für den neu ernannten Leiter der »Operation Schwarzhandel« war, dass er noch heute Nacht einen dringenden Einsatz leiten sollte. Solowjov zuckte mit den Achseln. Elisabeth, die neue Freundin aus der Vorstadt, würde auf ihn warten müssen oder auch nicht. Mit Zigaretten, Schnaps und den richtigen Verbindungen würde es kein Problem sein, innerhalb kürzester Zeit Ersatz für sie zu finden.
    Solowjov warf einen Blick auf den Zettel mit der Adresse des Treffpunkts. Dann gab er dem

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