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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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die Holztür auf und die fünf Männer betraten durch den kühlen Vorraum das Innere des riesigen Baus. Helmut und Frank sicherten rasch und professionell die Gänge und Bänke, Beichtstühle und Seitentrakte. Nach wenigen Minuten stand fest, dass die Kirche leer war.
    Johann und Georg standen beisammen und diskutierten leise. »Was weißt du über die Konstruktion des Bodens, Professor?«, fragte der Sprengstoffexperte. »Gibt es Grüfte, wo sie die Granaten lagern können?«
    »Unter uns ist Flussboden, die Fundamente ruhen auf Baumstämmen, wie in Venedig oder bei einem Pfahlbau«, antwortete Sina.
    »Wir werden also kaum mit einem umfangreichen Kellergewölbe zu rechnen haben«, murmelte Johann.
    Helmut rutschte neben ihnen in die Bank und stützte sich auf sein Sturmgewehr. Auch er war noch immer müde, von der letzten Nacht gezeichnet, trotzdem wanderten seine Augen aufmerksam durch den Innenraum der Kirche. Die Morgensonne warf durch die hohen Fenster lange Schatten über die hellen Wände, und die schlanken Säulen schienen in den Himmel zu wachsen. Der ganze Raum verbreitete durch seine klaren Linien und Formen eine fast klinische Kühle. Helmut fühlte sich winzig und unbedeutend. Da war keine anheimelnde Gemütlichkeit oder gar Festlichkeit. Dieser Dom war so ganz anders als das kleine barocke Kirchlein seines Heimatdorfes. Der Weg zum Altar nach vorne war breit, nahm die gesamte Fläche des Mittelschiffes ein und Zementfliesen bildeten ein dekoratives Muster aus dunklen Linien und hellen Quadraten.
    »Ein Gesamtkunstwerk des Wiener Jugendstils«, raunte Paul, »wirklich beeindruckend. Gab es hier keine Bombentreffer?«
    »Nein, die hatten unverschämtes Glück. Es ist alles rundherum runtergegangen«, meinte Eddy und blickte sich um. »Die müssen sich ihrer Sache hier verdammt sicher sein, wenn sie keine Aufpasser dagelassen haben. Oder sie kommen erst. Wir müssen auf der Hut sein.«
    Johann hatte etwas bemerkt, fädelte sich aus der Bank und ging in die Hocke. »Der Boden ist nicht eben«, stellte er nach einem kurzen, prüfenden Blick fest. »Er schlägt Wellen und senkt sich zusätzlich von den Säulenreihen nach außen ab.«
    »Tatsächlich.« Georg verfolgte die Unebenheiten im Boden, dann hob er den Kopf und blickte nach oben. Die schweren, schwarzen Metalllüster über seinem Kopf erinnerten ihn an etwas … »Unglaublich …«, rief er aus und stieß Paul an. »Da sind überall Todesengel. Geflügelte Gottesboten mit umgedrehten Fackeln in der Hand, Hunderte Darstellungen von Thanatos!«
    Eddy war zum Altar nach vorne gegangen und winkte aufgeregt. Paul und Georg liefen nach vorne, während Johann sich den Seitenaltären zuwandte.
    »Ich habe etwas gefunden, Professor.« Bogner wies mit dem Finger auf eine Inschrift. »Hier, schau, an beiden Seiten des Tabernakels steht etwas in Latein.«
    Der Hochaltar war einem wuchtigen Reliquienschrein des Mittelalters nachempfunden. Ein goldener Markgraf Leopold und seine Frau Agnes knieten vor der Gottesmutter, die stolz ihren Sohn präsentierte, der auf ihrem Schoß stand und freundlich auf Leopold hinunterblickte. Sina machte ein paar Schritte nach vorn und schaute genauer hin. Die großen Figuren waren komplett aus Tombak getrieben, einer vor allem in Ostasien gebräuchlichen Kupfer-Zink-Legierung, die fein ausgehämmert kaum von Blattgold zu unterscheiden war. Ein blau emailliertes Kruzifix stand in einer Nische über dem Tabernakel und schimmerte wie purer Lapislazuli. Nichts in dieser Kirche war, wofür man es auf den ersten Blick hielt. Rechts und links des Allerheiligsten waren Buchstaben, die Georg an karolingische Minuskeln erinnerten. Wie auf dem Kreuz in Nussdorf ob der Traisen waren zwischen den Lettern mehrere Kreuze eingefügt.
    Sina begann laut die lateinischen Worte vorzulesen:
    »LAUDEMUS NOMEN DOMINI, QUIA DE DOMO AUSTRIAE ILLUXIT – LUMEN PIETATIS, CUIUS MEMORIA A GENERATIONE IN GENERATIONEM MANET.«
    »Es ist nicht zu glauben …« Georg fuhr sich wieder und wieder über den Bart.
    »Zu Deutsch, bitte?« Paul stand neben Eddy und schaute alarmiert seinen Freund an.
    »Lasset uns den Namen des Herrn preisen, da aus dem Haus Österreich das Licht der Frömmigkeit aufleuchtete, deren lebendige Gegenwart von Generation zu Generation andauert«, übersetzte Sina und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich glaube, einen eindeutigeren Hinweis auf die Schattenlinie kann es kaum geben …«
    »Ganz deiner Meinung«, stellte Wagner trocken fest

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