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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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und deutete auf einen prachtvollen Stuhl im Altarraum. »Hier steht außerdem ein Thron.«
    »Wahrscheinlich für den zukünftigen Bischof gedacht«, mutmaßte Georg und betrachtete das repräsentative Möbel.
    »Meinst du, wir haben es hier mit einer Krönungskirche zu tun?«
    »Gut möglich.« Sina winkte ab. »Mich irritiert aber jetzt vor allem die ›lebendige Gegenwart von Generation zu Generation‹, diese Betonung der erblichen Kontinuität, wenn du weißt, was ich meine.«
    »Sorry, du hast mich gerade verloren.« Wagner fühlte sich nicht wohl in diesem Tempel der Schattenlinie. Sie waren in der Höhle des Löwen, wieder einmal.
    »Du hast doch die Kaiserallee am Heldenberg als Ahnengalerie bezeichnet«, erinnerte er den Reporter, setzte sich kurzerhand auf den Thron und schlug die Beine übereinander. »All diese Büsten, all diese würdevollen Gesichter, die nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die guten Habsburger allesamt nicht ganz richtig im Kopf waren.«
    Wagner lachte auf. »Wie bitte meinst du das?«
    Georg zeigte auf den Tabernakel. »Schau hin, es steht ja hier: von Generation zu Generation. Wie du in vielen Geschichtsbüchern nachlesen kannst, hat die österreichische Herrscherfamilie zu wenig Ahnen.«
    »Das verstehe ich nicht.« Eddy war hinzugetreten und schaute Sina verständnislos an. »Wie kann jemand zu wenige Ahnen haben? Wir haben doch alle dieselbe Zahl von Vorfahren, dachte ich immer. Jeweils ein Elternpaar und vier Großeltern.«
    »Schon richtig, Eddy«, bestätigte Sina und klopfte auf die Lehne des Stuhles. »Aber idealerweise stammen die standesgemäßen Ehepartner immer aus anderen Blutlinien. Das soll das Erbgut gesund halten.«
    »Und durch die ständigen Vetternehen und Verbindungen von direkten Blutsverwandten geht das verloren. Meinst du das?«, hakte Paul ein.
    »Genau.« Georg stützte sich mit den Ellenbogen auf seine Knie. »Im Laufe der Geschichte haben dank päpstlichem Dispens Onkel ihre Nichten oder Cousins ihre Cousinen geheiratet. Das Hausgesetz von Metternich verstärkte das noch. Die Folge waren erbliche Geisteskrankheiten und schwere Behinderungen neben großen Begabungen. Einige Habsburger waren beispielsweise erstklassige Musiker, andere geisteskrank. Die erschreckendsten Vertreter dieser Kategorie stammen aus der Linie der spanischen Habsburger, wie etwa Karl II. und Don Carlos, der schizophrene Sadist.«
    Der Wissenschaftler legte die Fingerspitzen zusammen. »Winston Churchill hat sich über die ›idiotischen habsburgischen Erzherzöge‹ mokiert und Napoleon wollte seinen einzigen Sohn sogar lieber erwürgt als in Wien erzogen sehen.«
    »Fazit?«, fragte Wagner verblüfft.
    »Ich frage mich, ob die Schattenlinie von diesen Symptomen der Geisteskrankheit nicht ebenfalls betroffen ist, von Generation zu Generation, immer wieder, und ohne Lothringer-Blutauffrischung?« Georg malte Dreien auf die Armlehne des Thrones und ließ dabei die Inschrift am Tabernakel nicht aus den Augen.
    Es war Johann, der den ersten Hinweis entdeckte. Er war gemeinsam mit Helmut und Frank durch die Kirche gestreift, immer auf der Suche nach einem Anhaltspunkt für das Versteck der Bombe.
    Aufgeregt rief er Georg und Paul zu sich. »Die Ausgänge hier an den Seiten sind offenbar nachträglich eingebaut worden«, stieß er hervor und zeigte dann auf den Boden. »Und hier, bei dem Seitenaltar, passt das Muster der Fliesen nicht mehr zusammen. Die hat vor Kurzem erst jemand herausgelöst und in aller Eile und ziemlich schlampig wieder eingesetzt.«
    »Wie passend, die Flucht nach Ägypten …« Sina betrachtete kurz das Altarbild, das die Heilige Familie auf der Flucht vor dem Kindermord in Bethlehem zeigte.
    »Ja, die Schattenlinie ist um keine Anspielung verlegen.« Wagner bückte sich und half Johann, die schweren Fliesen aus dem Boden zu lösen und aufzustapeln. Das Loch im Boden wurde unter den Händen der drei Männer rasch größer.
    »Helmut, versperr den Eingang wieder, jetzt möchte ich keine Überraschungen. Frank, du hältst uns den Rücken frei«, ordnete Eddy an und spähte interessiert über die Schultern der Knienden und auf den schnell höher werdenden Fliesenstapel. Schließlich wurde der Blick auf ein tiefes, dunkles Loch frei.
    Johann zückte seine kleine Taschenlampe und leuchtete hinein. »Ein Stollen, wie ich es mir gedacht habe. Wir sind auf der richtigen Spur«, sagte er erfreut. »Der führt garantiert unter die Strebepfeiler.« Im nächsten Moment

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