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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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zurück. »Beenden wir also das Gespräch und vergessen wir es einfach. Ich bleibe in Wien und Sie bleiben in Tel Aviv und die Distanz zwischen uns wirkt auf mich unglaublich beruhigend.«
    »Was ist Ihnen lieber, Major Goldmann?« Shapiros Stimme war plötzlich gar nicht mehr verbindlich, sondern hart und unnachgiebig. »Dass ich morgen dafür sorge, dass Ihr Pass leider ungültig wird und Sie sich einen Platz auf der ersten Maschine nach Hause sichern müssen, weil Sie plötzlich Persona non grata in Österreich sind, oder dass ich Sie für ein Problem interessieren kann, das uns unter den Nägeln brennt. Es ist alleine Ihre Entscheidung. Und ja, ich gebe es zu, ich möchte Professor Sina und Paul Wagner mit an Bord haben, aus Gründen, die ich Ihnen derzeit noch nicht sagen kann. Und zwar, weil das außerhalb meiner Kompetenzen liegt. Deshalb habe ich Sie angerufen und nicht einen anderen unserer Agenten.« Mit denen alles etwas einfacher wäre, setzte er in Gedanken dazu.
    Valerie schwieg. Sie erinnerte sich an die Einsätze in Chemnitz und in Panenske-Brezany im vergangenen Jahr. Haarscharf, dachte sie, es war haarscharf und wir hätten alle dabei draufgehen können. Dann sagte sie leise: »Nennen Sie das eine Wahl, Shapiro? Das ist glatte Erpressung und das wissen Sie.«
    »Ich würde es eher Unterstützung Ihrer Entschlussfreudigkeit nennen.« Shapiro klang gönnerhaft und Valerie hasste ihn dafür. Andererseits nagte die Neugier an ihr. Die Phantome des Zaren? Das klang wie der Titel eines Hollywood-Streifens aus den Sechzigerjahren. Aber alles, was Shapiro von seinem Schreibtisch aus lenkte, war stets erschreckend real gewesen, erinnerte sie sich. In seiner Welt gab es keinen Platz für Sagen und Legenden. Der Geheimdienstchef war ein Händler der Desillusion. Harte Fakten waren alles, was zählte.
    »Die Phantome des Zaren?«, sagte Valerie schließlich laut und bildete sich ein, Shapiro in einigen Tausend Kilometern Entfernung aufatmen zu hören. Oder war das auch wieder nur ein Schachzug des Strategen in Tel Aviv?
    »Ja, was wissen Sie davon?«
    »Ehrlich gesagt gar nichts. Bis vor wenigen Minuten wusste ich gar nicht, dass es die Bezeichnung überhaupt gibt.« Als Shapiro stumm blieb, setzte Goldmann fort. »Aber es klingt ein wenig nach russischem Mythos und Verschwörung im Zobelmantel.«
    »Dann lassen Sie sich von meinem Freund Daniel Singer in Berlin eines Besseren belehren, Major Goldmann, und – willkommen an Bord!« Valerie hatte plötzlich ein eisiges Gefühl in der Magengrube. So, als ob das Schiff, auf dem sie Shapiro gerade begrüßt hatte, den Namen »Titanic« trug und geradewegs auf einen bläulich schimmernden Koloss zusteuerte, von dem man nur eine harmlos kleine Spitze sah.
    Herrengasse, Innere Stadt, Wien/Österreich
    I nnenminister Konrad Fürstl beendete grußlos sein Telefonat und stützte sich mit den Ellenbogen auf seinen Schreibtisch, um sich mit beiden Händen über die Glatze und den Hinterkopf zu streichen. Dann ballte er die Fäuste und schlug so fest er konnte auf die Tischplatte. Von der Herrengasse hörte man das Schreien und Skandieren der Demonstranten. Der Volkszorn brandete mit einer beängstigenden Stärke gegen die Fenster seines Büros in der Wiener Innenstadt. Der dienstälteste Minister der österreichischen Regierung fühlte sich zum ersten Mal in seiner jahrzehntelangen Laufbahn hilflos und ausgeliefert. Die Situation drohte außer Kontrolle zu geraten und Fürstl sah die alten Filme der Unruhen in den Zwanzigerjahren vor seinem geistigen Auge vorbeiflimmern. Alles, nur das nicht, dachte er sich und griff erneut zum Telefon.
    »Schmidt? In mein Büro! Sofort!«, bellte er und wenige Augenblicke später betrat sein Kabinettschef hastig das Büro. Günther Schmidt, wie immer sportlich adrett und unauffällig gekleidet, betrachtete seinen dicken Vorgesetzten, der in dem knarrenden, ledernen Chefsessel nervös hin und her rückte, mit Argwohn. Fürstl war als roher Klotz verschrien, oder, wie es der Minister selbst eleganter ausdrückte, er neigte zum Grobianismus. Für sensiblere Gemüter war Fürstl einfach nur ordinär und taktlos, besonders wenn er unter Druck stand. Angesichts der Demonstranten vor den Toren des Innenministeriums konnte sich Schmidt ausmalen, was ihn erwartete.
    »Was kann ich für Sie tun?«, wagte Schmidt einen Vorstoß.
    Schnösel, dachte der Innenminister und grunzte: »Was soll die blöde Frage? Sie sollen natürlich Ihren Griffel spitzen

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