Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
Oberkirche und machten sich auf den Weg zur Testamentseröffnung. Nachtigall, wie immer in Schwarz, war dankbar dafür, dass es Skorubskis Frau in diesem Sommer doch gelungen war, ihrem Mann die Hawaiihemden wieder auszureden. Er trug ein beiges Leinenhemd und eine khakigrüne Jeans.
Als sie in die Sprem einbogen, kam eine kleine Gruppe schwarz gekleideter Menschen auf sie zu, aus der nur Paul Mehring herausstach, der selbst zu diesem Anlass nicht auf seine blaue Kleidung hatte verzichten wollen. Die beiden Söhne gingen langsam neben ihrer Mutter her, die bei jedem Schritt aus dem Gleichgewicht zu geraten schien. Sie nickten Nachtigall und Skorubski wortlos zu. Vor dem Eingang zur Kanzlei trafen sie auf einen Unbekannten, der offensichtlich denselben Weg hatte wie sie.
Dr. Fürst, ein distinguierter Mann Anfang 50, schlank mit grau meliertem, halblangem Haar begrüßte die Gruppe mit professioneller Trauermine und sprach allen sein Beileid aus, dann versammelten sich die Angehörigen um einen großen, ovalen Holztisch. Zur Überraschung aller nahm auch der Unbekannte daran Platz. Neugierig beäugten ihn Mutter und Söhne.
Peter Nachtigall und Albrecht Skorubski nahmen auf zwei Stühlen, abseits der Familie, Platz und warteten gespannt, was sich nun ergeben würde. Nachtigall erinnerte sich an einen seiner Ausbilder, einen kleinen Mann mit mächtigem Schnauzbart, der immer wieder seinen Studenten eingebläut hatte: »Folgt dem Weg des Geldes! Bleibt auf der Spur des Geldes!« – und so oft damit recht gehabt hatte.
Nun würden sie gleich wissen, wohin die Spur des Geldes in diesem Fall führte.
Der Notar nahm einen dicken DIN-A4-Umschlag zur Hand und öffnete ihn theatralisch mit dem Papiermesser.
»Wir verlesen nun das Testament von Hans-Jürgen Mehring, das von jenem bei uns zur Verwahrung hinterlegt wurde. Anwesend ist neben seiner Ehefrau Hiltrud und seinen Söhnen Paul und Markus noch Herr Will aus Hamburg. Den Bestimmungen gemäß, die der Verstorbene getroffen hat, wurde er von uns von seinem Ableben in Kenntnis gesetzt und zum heutigen Termin eingeladen.«
Der Notar entnahm nun dem Umschlag ein Schriftstück sowie eine DVD.
»Auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen zeichnete ein Team sein Testament auf. Es ist sein Wille, dass Sie es sich ansehen.«
Frau Mehring schrie spitz auf, als plötzlich das Antlitz ihres Mannes über den Bildschirm flackerte und er die Gruppe zynisch grinsend ansah. Paul legte ihr seine Hand auf den Arm. Gebannt starrte auch Nachtigall auf dieses Gesicht und überlegte, ob ihm der Ausdruck nur deshalb so böse vorkam, weil er schon so viel über den Mann wusste, oder ob er unvoreingenommen wohl auch diesen Eindruck gewonnen hätte. Die Luft in der Kanzlei war klimatisiert und er fröstelte, was nicht nur an der Raumtemperatur lag.
Hans-Jürgen Mehring begann zu sprechen:
»Wenn ihr nun alle so schön versammelt seid, wisst ihr auch schon, dass Herr Will zu eurer Gruppe gehört. Normalerweise hätte ich vielleicht Gruppe Trauernder gesagt, doch ich denke, dieser Zusatz erübrigt sich bei euch. Keiner von euch trauert, nicht wahr? Oder Hiltrud?«
Die Angesprochene schluchzte laut auf.
»Ist mir aber auch egal, ich bin tot. Wahrscheinlich, weil mich einer umgebracht hat – womöglich einer der Nichtsnutze aus der eigenen Familie. Oder eben ein anderer. Nun seid ihr alle gespannt auf meine Verfügungen und ich kann euch versichern, ihr werdet nicht enttäuscht. Vater? Wenn du hier bist, dann ist der folgende Moment das Highlight für dich und Hiltrud, die Frau, die mir seit mehr als 30 Jahren auf die Nerven geht, die mein Geld verkocht und zu sonst nichts taugt: Das Haus in Kahren sowie der Grund, auf dem es steht, gehen an Herrn Will! Er soll es veräußern und den Erlös für die ›drei goldenen Haare‹ verwenden, diesen Verein, den meine Familie gehasst hat. Stellt davon einen guten Tanztrainer ein und bildet die Teufel gut aus. Die LKW mag Markus noch verwenden, um sein Zeug aus meinem Haus zu schaffen, dieser faule Tunichtgut, der immer nur von mir gelebt hat, ohne etwas zu leisten. Paul, dieser Verräter, der seine Intelligenz so sträflich für diese blödsinnige Sekte einsetzt und nicht einmal in der Lage ist, eigene Kinder zu zeugen, bekommt nur dann seinen Pflichtteil, wenn er diese Schlampe, mit der er zusammenlebt, und ihren Wechselbalg vor die Tür setzt. Die Kanzlei wurde angewiesen, dies zu kontrollieren und zu überwachen.«
Frau Mehring weinte
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