Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
Heinzel meinte, der Markus sei wohl nicht zu Hause gewesen – oder im Garten. Es war jedenfalls ein ziemlicher Lärm zu hören, Pfeifen und andere Leute«, ergänzte er dann.
Angelika Wiesendorf eilte wieder zu ihren Computern zurück, während Peter Nachtigall meinte.
»Gut – ich glaube, ich weiß jetzt, wie sich das Ganze abgespielt hat. Lasst uns zusammentragen, was wir wissen, und dann sehen wir, ob dabei ein Gesamtbild entsteht.«
»Wir wissen inzwischen, dass Hans-Jürgen Mehring seine Familie unterdrückt hat. Paul hat uns erzählt, der kleine Bruder habe irgendwie unter besonderer Beobachtung durch den Vater gestanden. Jetzt wissen wir auch warum. Eigentlich war Hans-Jürgen homosexuell. Durch einen fanatischen Betreuer im Ferienlager wurde er wahrscheinlich überhaupt erst darauf aufmerksam. Er versuchte, diese vermeintliche Schwäche zu bekämpfen, suchte bei Gott durch leichtsinnige Sprünge Bestätigung dafür, dass er auf dem richtigen Weg war. Zu seinem neuen Bild gehörte ein möglichst männlicher Nimbus. Er heiratet eine Frau, von der er nur wenig Widerstand erwartet. Sie gründen eine Familie, er hält sie wie eine Gefangene und lebt draußen in der Welt seinen Männlichkeitswahn. Von seinen Söhnen erwartet er, dass sie sich zu ›echten‹ Männern entwickeln. Paul beschimpft er, weil er nicht der biologische Vater seines Sohnes ist und bei Markus bemüht er sich darum, alle Freundschaften mit Jungs zu hintertreiben, damit der Sohn sich nicht auch homosexuell entwickelt.«
»Und das geht schief. Sein Versuch, sich mit der Spedition zu behaupten, schlägt fehl, sein eigener Vater bezeichnet ihn als Totalversager. Der Sohn Paul entzieht sich dem Einfluss des Vaters und stellt sich sogar in der Öffentlichkeit gegen ihn, gründet die Mind Watchers. Hart. Das muss an seinem Selbstwertgefühl genagt haben!«, meinte Skorubski.
»Ich habe vor gar nicht langer Zeit gelesen, dass wir Menschen dazu neigen, die Schwächen, die wir an uns selbst nicht zulassen können, bei anderen mit besonderer Akribie zu verfolgen. Ich glaube, hier liegt der Schlüssel.«
»Was liest du denn für Bücher?«, fragte Skorubski verblüfft und Nachtigall meinte:
»Über die Wurzeln des Terrorismus, der rechtsradikalen Gewalt. Zurück zu Mehring. Er ist homosexuell und will mit aller Macht verhindern, dass a) jemand das merkt und b) seine Söhne auch so werden. Er erzieht sie mit unnötiger Strenge, bestraft auch die Mutter, die er verdächtigt, seine Erziehungsabsichten zu hintertreiben. Vielleicht hat er ihr dabei sogar Mutwillen unterstellt. Da niemand außer Wilhelm Mehring das Geheimnis kennt, kann ihn auch niemand verstehen. Markus Mehring erkennt seine Liebe zu Florian Kessler, die beiden werden ein Paar. Hans-Jürgen Mehring setzt alles daran, die Beziehung durch eine Erpressung zu hintertreiben – das klappt aber nicht. Der Junge versucht, sich umzubringen. Der Abschiedsbrief bringt alles an den Tag. Wie groß mag der Hass von Markus Mehring gegen seinen Vater gewesen sein! Er schickt Drohbriefe, um seine Spuren und Motive zu verwischen, und schließlich tötet er den Vater im Stadion.«
»Wie – wenn er telefonierte und die Mutter wusste, dass er zu Hause ist?«
»Anrufweiterschaltung. Der Junge hat doch einen Festnetzanschluss und hat das einprogrammiert. So erreichte ihn der Anruf, als er unterwegs war. Und Frau Mehring weiß nur, dass er nicht da ist, wenn er sich abmeldet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie seine Abwesenheit zufällig bemerkt hätte, war sehr gering.«
»Hm. Motiv verstehe ich – Gelegenheit war auch da. Worauf warten wir dann noch!«
»Auf Dr. März – er stellt den Haftbefehl aus. Michael, du könntest nachfragen, wie weit er damit ist – und dann holen wir uns das Bürschchen.«
»Wir haben seinen PC. Wenn er schlau ist, ist er untergetaucht«, gab Wiener zu bedenken.
»Dann suchen wir ihn. Er wird uns schon ins Netz gehen. Wisst ihr, im Grunde tut er mir leid. Er ist nicht so ein eiskalter Krimineller, wie er vielleicht von sich selber hoffen mag. Selbst wenn er verschwunden ist, werden wir ihn rasch finden – schon, weil er nicht weiß, wie man so eine Flucht organisiert.«
»Warum sollte sich Wilhelm Mehring den Brief selbst geschickt haben?«
»Er glaubte, er habe etwas gutzumachen. Er wurde auch nicht vor die Bahn gestoßen. Hiltrud Mehring hatte jahrelang unter einem Sohn zu leiden. Als ich ihm von dem Rattengift erzählte, dachte er sofort an seine Schwiegertochter
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