Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
antwortete dem Rufer, der sich albern in alle Richtungen verneigte.
Paul spürte, wie sich eine Welle von Jähzorn in ihm auftürmte. Was wollten diese Typen eigentlich von ihm? Er war noch nie mit Tomaten oder Eiern beworfen worden und würde das auch jetzt nicht so einfach hinnehmen! Die Mind Watchers wollten dieser Gesellschaft nur helfen auf den richtigen Weg zurückzufinden – aber wer nicht wollte, gut, der konnte es lassen! Er rief sich das Bild von Katharina und Lucas ins Gedächtnis, spürte, wie es ihm Kraft gab.
»Ich weiß genau, wieso ihr hier seid!«, rief er ihnen zu und Grölen antwortete ihm. »Wenn ihr euch sicher wärt, dass Fußball und das Drumherum euch und euren Kindern nicht schaden, hättet ihr nur ein geringschätziges Lächeln für uns Mahner in der Wüste übrig. Ihr würdet Fußball und Prügeleien, Computer und tötende Kinder weiter toll finden! Doch wir haben bei euch einen Denkprozess angestoßen – ihr seid hier, weil ihr im Grunde wisst, dass wir recht haben! Nur wollt ihr das nicht kampflos einräumen, also versucht ihr mich zu reizen. Ihr hofft auf eine Prügelei mit mir! Dann könnt ihr mit den Fingern auf uns zeigen – und sagen: Die sind auch nicht besser. Die sind auch brutal. Doch nicht mit mir!«
Betont langsam setzte Paul Mehring sich in Bewegung. Steifbeinig, weil der gefesselte Wut-Tsunami, der in ihm rollte, das Beugen der Knie behinderte. Er stakste in den Gastraum, vorbei am Wirt, der ihm ein paar Worte ins Ohr zischelte, die er nicht verstand, direkt in die Herrentoilette. Dort erbrach er seinen Zorn, bis er das Gefühl hatte, beim nächsten Würgen stülpe sich sein Magen aus. Er lehnte sich erschöpft an die Abtrennung, versuchte sich zu beruhigen. Es hatte zu regnen begonnen, bemerkte er bei einem Blick aus dem Fenster – das würde alle etwas abkühlen, hoffte er.
Warum suchte die Polizei eigentlich Markus? Wieso war der nicht zu Hause gewesen? Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Markus? Suchte dieser Nachtigall seinen Bruder, weil er ihn für den Mörder seines Vater hielt? Quatsch! Markus doch nicht. Nachtigall hatte ihm erzählt, sie hätten die Texte zu den meisten Drohbriefen auf Markus’ PC gefunden. Langsam tröpfelte die ganze Bedeutung dieser Erkenntnisse in sein Bewusstsein und eine neue Welle der Übelkeit überrollte ihn, und zwang ihn sich erneut zu übergeben. Als er sich aufrichtete, liefen ihm Tränen übers Gesicht. Er spülte sich den Mund aus, doch der schale Geschmack blieb, dann spritzte er sich kaltes Wasser auf Wangen und Stirn. Er musste sich jetzt zusammenreißen – um alles andere würde er sich später kümmern.
Seine blaue Gruppe erwartete ihn bereits.
»Sie sind abgezogen.«
»Nun – wir waren uns immer darüber im Klaren, dass unsere Forderungen geeignet sind, andere gegen uns aufzubringen. Das ist eines der Risiken, die wir bereit waren einzugehen«, Paul bemühte sich um einen gleichgültigen Tonfall. »Die anderen betreffen unsere Kinder, die vielleicht ausgegrenzt werden, unsere Chefs, die uns möglicherweise aus der Firma ekeln wollen, weil sie glauben, wir störten den Arbeitsfrieden – und alle anderen Bereiche, in denen intolerante Menschen auf uns stoßen können. Es ist in Ordnung so – sie haben sich Luft gemacht und sind verschwunden.«
»Ist dir was passiert?«, fragte Dörte besorgt.
»Nein«, nur mein Stolz hat gelitten, hätte er noch hinzufügen können, ließ es aber bleiben.
»Weißt du – wenn die Leute derart unkontrolliert reagieren – das macht mir Angst!«
Miki, dachte Paul, typisch.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Niemand muss sich fürchten. Angst engt das Bewusstsein ein, schnürt einen Kokon um unser Denken. Nein! Sie sind abgezogen – es gab keine blutigen Szenen. Ihre Waffen waren das Wort, eine Tomate und ein stinkendes Ei. Bleibt entspannt! Durch so etwas lassen wir uns doch nicht unterkriegen!«
»Du warst toll!«, stellte Niels fest. »Ganz cool hast du ihnen die Augen geöffnet und bist an ihnen vorbeispaziert. Hast ihnen den Rücken zugewandt – wow!«
»Ich wollte mich nicht provozieren lassen. Gut – genug über mich. Wie sieht es mit der heutigen Tagesordnung aus?«
Zufrieden sah er sich im Raum um. Die jetzt-erst-recht-Haltung hatte alle erreicht!
»Wir wollten heute über die Frage sprechen, welche Musik uns guttut und welche eher schadet. Ja, und die Aktionen für nächsten Sonntag sind zu planen. Die Transparente haben wir fertig – sind ja nur ein paar
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