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Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Titel: Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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Kahren – es war Zufall, die suchten gerade einen jungen Mann, der wirklich tanzen konnte.«
    »Florian geht seit vielen Jahren zum Unterricht«, flüsterte Frau Kessler, »er wollte im Rampenlicht stehen, allein vorne auf der Bühne. Das wurde ja auch Zeit – er wird in diesem Winter immerhin 20. Für ihn war dieser Fernsehauftritt die letzte Chance.«
    »Er lieh sich meinen Wagen. Er fährt immer sehr vorsichtig und aufmerksam, also hatte ich nie Bedenken. Etwa eine Stunde später bekamen wir Besuch von der Polizei«, nun stiegen auch in Herrn Kesslers Augen Tränen. »Er war absichtlich aus der Kurve gerast und gezielt gegen den Baum gefahren. Später fanden wir dann den Abschiedsbrief, in dem er uns zu erklären versuchte, warum er nicht mehr weiterleben könne. Er liebt Markus und er liebt das Tanzen. Er hat das Gefühl gehabt, auf keines von beiden verzichten zu können. Sein Sparbuch war geplündert, das Geld lag in einem Umschlag neben dem Brief. Sein Anteil am Kauf eines neuen Autos ...«, seine Stimme versagte.
    »Es ist schrecklich, wenn Sie Ihr Kind, das immer so fröhlich und lebenslustig war, nun starr im Bett liegen sehen – schlafend und doch wach. Er spricht nicht, er lacht nicht. Um ihn herum herrscht undurchdringliche Stille.«
    »Die Ärzte glauben nicht daran, dass er wieder zu uns zurückkommt. Das spürt man. Aber selbst wenn er wieder aufwachen würde, was für ein Leben sollte er dann führen? Es ist nicht klar, welche Schäden sein Gehirn erlitten hat und wie gut er Ausfälle kompensieren könnte. Er ist noch jung – da ist so manches an Heilung möglich. Doch tanzen wird er nie mehr.«
    »Sein Freund Markus sitzt jeden Tag an seinem Bett und plant für ihn eine strahlende Zukunft. Er erzählt ihm von Physiotherapeuten in aller Welt, die neue Therapiekonzepte entwickelt haben, schwärmt von Soloauftritten in der ganzen Welt – Florian müsse nur aufwachen. Für uns ist es schwierig, mit diesem jungen Mann umzugehen. Ohne ihn hätte es nie so weit zu kommen brauchen, er hat uns Florian entfremdet. Aber er ist jetzt für unseren Sohn sehr wichtig – und es ist gut für ihn, dass Markus jeden Tag zu ihm kommt. Sagt jedenfalls der Arzt«, Frau Kessler trat an das Regal und öffnete eine Schublade. Als sie an den Tisch zurückkehrte, legte sie ein Fotoalbum vor Nachtigall ab und schlug es auf. Fotos von einem fröhlichen, lachenden Jungen. Das erste Lächeln, die ersten Zähne, erste Gehversuche, erste Versuche mit dem Rad zu fahren, erste Auftritte – alles war dokumentiert.
    Er blätterte bis zum Ende.
    Das letzte Bild zeigte Florian Kessler in einem Teufelskostüm, allein auf der Bühne, wie er gerade zu einem Sprung ansetzte. Sein Gesicht war ernst und hochkonzentriert. Peter Nachtigall spürte die verzweifelte Sehnsucht dieses jungen Mannes nach Erfolg und Triumph. Und er hörte die Stimme von Paul Mehring, die sagte, ›lieben und geliebt werden, das ist das Wichtigste. Ohne Liebe ist alles andere nichts wert‹. Ein echter Konflikt ohne Lösungsmöglichkeit.
    »Herr Mehring hat Ihren Sohn in eine ausweglose Lage gestürzt. Er wusste, was das Tanzen für den jungen Mann bedeutete, er wollte ihn verzweifelt sehen. Herr Mehring wurde ermordet.«
    »Ja. Dankbar haben wir zur Kenntnis genommen, dass es jemanden gab, der diesen Mann noch mehr gehasst haben muss als wir – oder jemanden, der schlicht entschlossener war als wir.«
    »Wo waren Sie am Sonntag während des Pokalspiels?«
    »Ich verstehe schon, dass Sie diese Frage stellen müssen. Aber wir können sie auch ganz einfach beantworten. Zur Tatzeit saßen wir an Florians Bett. Das wird Ihnen das Pflegepersonal sicher bestätigen«, antwortete Herr Kessler sachlich und ruhig.
    »Stellen Sie sich vor, wir würden ihn umgebracht haben und Sie kämen auf uns – wer sollte sich denn um Florian kümmern, wenn wir im Gefängnis sitzen? Welch schreckliche Vorstellung, er könnte womöglich erwachen und müsste feststellen, seine Eltern säßen ein und er muss allein mit allen Problemen fertig werden. Nein! Undenkbar!«, ergänzte seine Frau und wischte sich erneut die Tränen ab.
    Nachtigall war sich nicht sicher, ob das Elternpaar nicht doch einen der Spitzenplätze auf ihrer Verdächtigenliste einnehmen sollte. Warum nicht den Mann töten, der für das ganze Unglück verantwortlich war? Hätte Herr Kessler die Tat allein begangen, würde seine Frau weiterhin für Florian sorgen können – und nach ein paar Jahren wären die beiden

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