Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
und befürchtete durch seine Untätigkeit, diese arme Frau zu einem Mord verleitet zu haben. Also fingierte er den Brief und gab vor, Opfer eines Anschlags geworden zu sein. Wir sollten den Täter woanders suchen. Ich bin auf dem Heimweg an der Haltestelle vor der Stadthalle vorbeigefahren – dort schleicht sich die Bahn regelrecht hinein. Mehr als ein paar harmlose Knochenbrüche wird er kaum als Folge des Unfalls erwartet haben – er hat sich dabei ein wenig verkalkuliert – er hatte mit Sicherheit nicht vor, sich in Lebensgefahr zu bringen. Und ich wette, er konnte die Datei auch nicht ordentlich löschen und die Computertechnik wird sie finden – wenn nicht, dann habe ich mich eben getäuscht. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ich richtig liege.«
Frau Mehring öffnete widerstrebend die Tür.
»Wir möchten gerne Ihren Sohn sprechen.«
»Er ist vorhin weggefahren. Man hat die Leiche seines Vaters freigegeben und er hat einen Termin beim Bestatter. In einer Stunde wird er wohl wieder hier sein. Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie und Nachtigall fiel auf, dass sie kein Schwarz mehr trug. Im Flur standen Umzugskartons, dort wo die Bilder gehangen hatten, hinterließen sie auf der Wand dunkle Ränder und helle Flecken.
»Sie packen?«
»Ja. Mein Sohn auch. Sie waren ja bei der Testamentseröffnung dabei – mein Mann wirft uns aus dem Haus. Aber Markus wird uns eine Wohnung mieten und er ist ganz sicher, dass wir die Turbulenzen gut überstehen werden.«
Nachtigall krampfte sich der Magen zusammen.
Rasch verabschiedeten sie sich wieder. Ein Streifenwagen würde versteckt um die Ecke warten, bis der junge Mann nach Hause käme. Über Funk löste Nachtigall die Fahndung nach Markus Mehring aus. Er war sicher, es würde sich als eine Frage der Zeit erweisen, bis sie ihn schnappten.
Dann rief er Paul Mehring an, der aber auch keine Angaben über den Aufenthaltsort seines Bruders machen konnte.
Und so blieb die Suche nach dem jüngsten Sohn der Familie bis zum Abend erfolglos.
43
In Pauls Kopf hämmerte ein hartnäckiger Schmerz, der so heftig war, dass er ihm die Tränen in die Augen trieb. Er lehnte ihn schwer gegen seine Arme, die er auf dem Lenkrad verschränkt hatte.
Seine Stirn fühlte sich heiß an. Paul wusste, es handelte sich dabei nicht um Fieberhitze – Stress verursachte bei ihm mitunter ebenfalls eine solche körperliche Reaktion. Und Stress hatte er in letzter Zeit wahrlich genug.
Wenigstens war Großvater aus der Bewusstlosigkeit erwacht – eine gute Neuigkeit. Doch alles andere ... Er hatte heute Morgen seine Mutter besucht, um sie zu trösten und ihr seine Unterstützung anzubieten, und dabei festgestellt, dass sie sehr gut mit der neuen Situation klar kam. Nicht, dass er angenommen hätte, sie vermisse ihren Mann, – nein, dem weinte sicher keiner eine Träne nach – doch diese gelassene Heiterkeit war ihm an ihr noch nie aufgefallen. Fast gut gelaunt war sie damit beschäftigt gewesen, ihr Hab und Gut in Kisten zu verstauen. Im Garten lagen die düsteren Bilder aus dem Wohnzimmer auf einem Haufen, Vaters Kleider in großen Säcken und ein Teil der Möbel. Sie hatte eine Firma mit der Beseitigung dieser Dinge beauftragt – die Leute von der Möbelbörse kamen am Nachmittag. Sie war ihm seltsam fremd gewesen, als habe er sie nie gekannt.
In dem Moment, in dem er endlich ausstieg, zerplatzte eine überreife Tomate an seiner Schulter, als er sich empört umwandte, traf ihn ein Ei und der glibberige Inhalt floss zäh und stinkend über seine blaue Tunika.
Aus seiner eigenen Gedankenwelt gerissen stellte er verblüfft fest, dass sich eine Front Fußballfans vor dem Stammlokal der Mind Watchers versammelt hatte. Lauter wütende Männer, mit Zorn im Blick und Entschlossenheit in den Zügen.
»Wir lassen uns von euch nicht vorschreiben, was wir in unserer Freizeit tun sollen!«
»Ich finde Fußball toll und Lesen öde. Deshalb bin ich aber noch lange kein Abschaum!«, geiferte ein kleiner, rothaariger Mann mit auffallend weit auseinander stehenden Augen und erhob drohend die Faust.
»Meine Kinder dürfen am Computer spielen. Ich gucke nicht immer, was sie da machen – man kann doch nicht ständig die anderen kontrollieren! Ich dachte, das hätten wir endlich überwunden!«
»Im Sozialismus hättet ihr echt der Hit sein können! Das, was ihr wollt, gab’s damals schon! Keine gute Unterhaltung im Fernsehen, kein Telefon, kein Internet!«
Derbes Lachen
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