Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Niemand schien etwas zu ahnen. Alles verbarg sich hinter Scheinidentitäten der fünften Jahreszeit, ein Spiel, nichts als ein Spiel von kurzer Dauer. Paare formten sich, zogen sich in die künstliche Wüstenoase zurück.
»Und du? Hast du was Neues herausgefunden? Über Niku?«
»Negativ, leider. Es gibt keine Spur von dem Kleinen. Die Fahndung ist nach wie vor aufrecht. Der Bursche ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich muss das Foto sehen, Berenike.«
»Das hat Ariane.«
»Hm«, machte Jonas und dachte kurz nach. »Ich werde mich mit den Kollegen absprechen, ich darf doch?« Er deutete auf das Telefon auf dem alten Schreibtisch.
»Natürlich.«
»Und dann lass uns tanzen. Ich habe heute ausnahmsweise frei, während meine Kollegen sich um alles kümmern.«
»Ja.«
Sie ließ Jonas allein im Büro. »Lichtenegger hier. Wir suchen Ariane Meixner«, hörte sie ihn noch sagen, ehe die Klänge der Musik sie wieder umfingen.
Berenike verließ eben ein Grüppchen gut gelaunter junger Leute, denen sie Getränke gebracht hatte, als Jonas wieder zu ihr stieß.
»Alles unter Kontrolle, Nike«, raunte er ihr zu und fasste sie an den Händen, nachdem sie das leere Tablett an der Theke abgestellt hatte. Er zog sie zur Tanzfläche, erst noch widerstrebend ließ sie es geschehen, als Susi ihr zunickte. »Amüsier dich ein wenig!«
Jonas schlang einen Arm um ihre Hüften, während sie sich zu den verrückten Klängen wiegten, die Hans seinem Instrument entlockte. Immer wieder drifteten ihre Gedanken zu Niku und dem Bild. Wie es ihm wohl gehen mochte? Ob er noch am Leben war? Ob er wohl sehr fror? Hoffentlich hatte man ihm nur für das Foto die Kleidungsstücke weggenommen …
»Was ist mit Gerhard, Jonas? Jetzt, wo Niku entführt wurde? Daran kann er wohl nicht schuld sein?!«
»Lass, Nike, die Wahrheit wird sich herausstellen. Solange Gerhards Alibis für die Tatzeiten nicht halten …«
»Ach so?«
»Jemand will ihn am Backenstein gesehen haben statt im Bergwerk, wie er selbst gesagt hat. Aber das wird sich alles rausstellen. Auch Arianes Rolle. Wie gut kennst du sie?«
»Na ja … ich war mit ihr gefangen … und sie hat sich beispielhaft um Niku gekümmert.«
»Sie könnte mit Gerhard gemeinsame Sache machen. Das Foto könnte ein Trick sein.«
»Ach, Jonas, dass sie einen Hass auf die Jäger hat, das stimmt. Dass sie dabei übers Ziel hinausschießt, mag sein. Aber eine Mörderin?«
»Vielleicht stammt das Foto von früher, von dem Zeitpunkt, von dem Nikus Erfrierungen stammen.«
»Ich halte das alles nicht aus!«
»Lass dich fallen, Nike, alles wird gut«, murmelte Jonas in ihr Haar. Wie gern sie ihm geglaubt hätte! Nur ihre Körper spüren, das Wohlbefinden, die Nähe dieses Mannes, der wie ein Wunder in ihrem Leben aufgetaucht war. Nichts, aber auch gar nichts sonst sollte existieren. Sie lauschte seinem Herzschlag, der sich mit den Tanzrhythmen verband. Herum, herum, nur im Kreis herum … Wie sie das Tanzen liebte, am meisten mit Jonas! Nichts anderes mehr … nichts … doch, da war etwas. Mit einem Schlag war Berenike hellwach. Sie blieb stehen, lauschte aufmerksam, während ringsumher gelacht und wild getanzt wurde.
»Was ist denn, Nike?« Jonas lachte, drückte sein Becken gegen ihres und wollte sie weiterziehen.
»Warte. Da ist eine Stimme … die kenn ich. Sie gehört zu Anton Saller, dem Psychotherapeuten.«
»Ja, und? Was ist mit ihm?«
»Er war Daniels Therapeut, und auch Simon Einstatt ist zu ihm gegangen. Aber das weißt du sicher.«
»Natürlich. Wurde alles ermittelt. Komm, Nike, lass uns den Abend genießen. Wenigstens einmal.«
Sie nickte zögernd. Ließ ihre Blicke durch den Salon wandern, über Scheichs und Prinzessinnen aus 1001 Nacht, aber sie konnte den schlaksigen Therapeuten nicht ausmachen und Ariane ebenso wenig.
Ohne Vorwarnung sprang ein als Beduine Maskierter mit einem Kamel aus Plüsch auf die Bühne und riss das Mikrophon an sich. Die Musik brach mit einem schrägen Misston ab. Hans stand einen Moment lang baff da. Berenike drängte sich in seine Richtung, Jonas hinter ihr. Sie kamen am Rand der Tanzfläche zum Stehen, die anderen Tanzenden blickten irritiert zur Bühne. Der unbekannte Beduine trug einen blauen Turban, dessen Enden er sich so übers Gesicht geschlungen hatte, dass nur seine Augen hervorblitzten. Schwarze Augen mit leidenschaftlichem Blick. Trafen mit denen von Berenike zusammen, ein Stich durchfuhr sie, als hätten sich zwei Klingen gekreuzt.
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