Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
ihrem Traum wirkte genauso freundlich und gar nicht bedrohlich wie ihr alter Teddy. Während sie noch im Traum daran dachte, das alte tröstliche Kuscheltier zu suchen, wurde es düster. Wolken verfinsterten alles rund um den See. Hinter ihr war jemand, sie spürte das genau. Und vor ihr der Bär – jedes Kind wusste heutzutage, dass man diese massigen Tiere nicht erschrecken durfte. Sie stand still, wie erstarrt. Etwas berührte sie an ihrem Rücken, etwas Kaltes, Grausames. Sie wusste, was das war, sie wusste, was sie –
Etwas knallte. Ein Schuss – sie schrie auf.
»Nike! Wach auf! Du träumst!«
»Weg! Hilfe! Gehen Sie weg! Ich kann nicht –«
»Hej, Nike! Ich bin’s. Jonas!«
Sie schlug die Augen auf. Jonas saß vor ihr, sie lag im Bett. Er zog die Decke von ihrem Gesicht, sie strampelte. Er strich ihr sanft über die Schulter. »Du hast geträumt!«
Ein Kater fauchte. Die kleine Lampe am Nachttisch leuchtete. »Du hast Marlowe erschreckt, er hat dich mit den Krallen erwischt, weil er hinter deinem Rücken lag. Sonst ist nichts passiert, Nike.«
Sein Männerkörper umfing sie mit den Armen, kühle Lippen kosten ihren Nacken. Sie sank zurück. Marlowe sah sie vorwurfsvoll an und trollte sich.
»Ein Traum, aber was für einer. Ich werde noch verrückt von Arianes Hass auf die Jäger. Ich habe geträumt, dass ein Jäger einen Bären abgeschossen hat, der friedlich am See entlang spazierte. Aber ich weiß nicht, wer der Mann mit dem Gewehr war.«
»Man träumt schon mal von etwas, von dem man ständig spricht, Nike.« Jonas stand auf und zog sich rasch aus, die Luft im Raum war ziemlich abgekühlt. Er schlüpfte unter die Decke. »Beruhig dich, es ist nicht real.«
»Ich weiß. Und was war bei dir?«
Er schmiegte sich an sie. »Erzähl ich dir morgen.«
Ihre Hände umfingen sich, Berenike betrachtete ihn einen Moment, drehte dann das Licht ab und seufzte wohlig auf. Bald darauf war sie wieder eingeschlafen.
Allzu bald schlüpfte das erste Tageslicht durch die Vorhangritzen. Berenike linste mit einem Auge nach dem Wecker. Sieben Uhr. Egal, sie konnte heute schlafen, so lange sie wollte. Doch bald darauf wachte Jonas auf und musste natürlich zum Dienst.
Sie lasen es in allen Zeitungen, die Frau Gasperl so reichlich abonniert hatte. »Ich will schließlich wissen, was in der Welt vor sich geht«, wurde die ältere Ausseerin nicht müde zu betonen. Eine davon hatte sie Berenike vor die Tür gelegt – ob wegen ihres ›Polizistenliebhabers‹ oder nur so, mochte dahin gestellt bleiben.
Jonas las gierig.
»Dein Fall?«, fragte Berenike, während sie Omelettes mit Zwiebeln, Kürbiskernen und Kernöl zubereitete und sie scharf würzte. Dazu gab es frisch aufgebackene Semmeln und starken, dunklen Ceylontee, den sie in der blauen Kanne aus Bunzlauer Keramik servierte. Auch so ein Familienerbstück der Roither-Seite, ebenso wie die dazu gehörigen Tassen mit den weißen Punkten.
»Es gab einen Lawinenabgang gestern am späten Nachmittag«, erklärte Jonas zwischen zwei Schlucken. »Am Grundlsee beim Backenstein.«
»Das ist der Berg, der wie ein Backenzahn aussieht, nicht wahr?«
»Genau. Von dort wälzten sich die Schneemassen ins Tal. Dabei rissen sie zwei Spaziergänger auf dem See mit.«
»Das ist aber ziemlich leichtsinnig, oder? Das Eis trägt nicht wirklich, hab ich gehört.«
»Das Eis war nicht das Problem, sondern die Lawine. Jemand hat das Pärchen vorher gesehen und Alarm geschlagen, nachdem die Schneemassen alles niederrissen. Auch ein paar Häuser sind verschüttet worden und ein Hund.«
»Wie traurig.« Schnell sah Berenike nach den Katzen, die um ihrer beider Beine schlichen, nachforschend, wo es einen Leckerbissen abzustauben gäbe.
»Das Seltsame war, man hat später vier Tote ausgegraben.« Jonas, noch im Bademantel, den er irgendwann bei ihr deponiert hatte, deutete auf die Zeitung. »Zwei von ihnen haben an den Handgelenken seltsame Spuren aufgewiesen.«
»An den Handgelenken? Woran denkst du? Doch nicht, dass sie gefesselt waren?«
Jonas zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, die Untersuchung der Gerichtsmedizin ist noch im Gange. Wenn das Ergebnis vorliegt, kann man mehr sagen.«
»Aber es wäre völlig aberwitzig, wer sollte sich beim Schifahren oder Spazierengehen mit Seilen …«
»Vielleicht zur Sicherung, ich weiß es nicht, Nike. Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet, ich kann selbst nicht Schi fahren. Jedenfalls haben die Retter uns angerufen, weil das
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