Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
herunter.
»Ach, es läuft einigermaßen. Ich versuche, nicht zu oft an das Geschehene zu denken.« Ariane schüttelte sich. Sie holte einen Block aus dem Handschuhfach und kritzelte etwas darauf. Ihr Blick schweifte in eine unbestimmte Ferne. Nach ein paar Zeilen steckte sie die Schreibsachen wieder zurück und startete den Wagen. »Soll ich dich heimbringen, Berenike, oder möchtest du in den Salon?«
»Nach hause, bitte.«
Ariane fuhr zackig los und bog in die Ischler Straße Richtung Altaussee.
In einer Geschäftsauslage wurden eben Faschingskostüme ausgestellt. Seeräuber, Prinzessin – auch nichts Neues. Berenike musste sich noch etwas einfallen lassen für ihr Fest. Aber ihr Kopf war in der Hinsicht leer. »Mir sitzt der Schock über die Entführung jedenfalls ganz schön in den Knochen. Wenn ich nur an diesen finsteren Stollen zurückdenke! Vielleicht sollt ich einen Therapeuten aufsuchen. Wie hieß der von Daniel schnell noch mal?«
»Der Saller? Der bringt dich nicht weiter! Zu dem wirst doch nicht gehen?«
Berenike sah sie herausfordernd an. »Und wenn? Ich hab gedacht, es gibt sonst niemand in der Gegend?«
»Nein, eh nicht. Aber … du willst doch nicht …«
»… ermitteln? Och …«
»Warum eigentlich nicht. Soll ich dich begleiten?«
»Das würde auffallen, so ein Besuch ist schließlich vertraulich.«
»Stimmt auch wieder.« Gedankenverloren nahm Ariane die Kurven hinauf nach Altaussee. Zumindest war die Sicht mittlerweile besser. Trotzdem war Berenike froh, als Ariane in Lichtersberg vor ihrem Wohnhaus hielt. »Pass auf dich auf, wenn du den Saller aufsuchst, Berenike, gell?«
»Klar. Zur Not ruf ich Jonas.« Sie zwinkerte Ariane zu und kramte nach ihrem Schüsselbund.
Oben in ihrer Wohnung scheuchte Berenike die Katzen zur Seite, die beharrlich um ihre Beine strichen, als hätten sie insgesamt nicht dreimal vier sondern mindestens 121 Pfoten. »Ihr kommt gleich dran, wartet ein bisschen«, versuchte sie sie zu vertrösten, was natürlich unmöglich war.
Die Katzen verfolgten sie weiter und schrien, als wären sie zu Unrecht verhaftet worden, während Berenike das Telefonbuch aus dem Regal nahm, um Anton Saller nachzuschlagen. Da stand sein Name ja, in Bad Aussee war er tatsächlich der Einzige, aber auch in der Region allgemein gab es nicht viele Psychofritzen. Wider Willen musste Berenike an ihre eigene Krise denken, die sie letztlich als Aussteigerin hierher geführt hatte. Niemand hatte ihr damals den Besuch einer Therapie empfohlen, eher im Gegenteil, man hatte ihr fehlendes Funktionieren lieber totgeschwiegen. Der Hausarzt der Familie, seit Generationen bei den Roithers beliebt, hatte eine Kur in Bad Aussee angeregt. Psychische Probleme, das hatte man einfach nicht, auch heute noch nicht. Man war krank, wenn es sein musste sogar schwer, aber höchstens körperlich. Man hatte mit dem Leben zurecht zu kommen, das hatten schließlich sämtliche Generationen Roithers vor ihr auch geschafft, selbst im Krieg mit dem Hunger und den Bomben. Verrückt, psychisch angeknackst, das erinnerte zu sehr an den unbeliebten Zweig der Familie, mit dem man nun mal verwandt war, an ihren Vater Fred Stein.
Berenike notierte Sallers Adresse auf ein Stück Papier und schlug das Telefonbuch zu. Die Katzen miauten. »Ja, ja, ihr bekommt ja schon was«, murmelte sie und ging in die Küche. Sie würde Saller am nächsten Morgen aufsuchen, persönlich sprach es sich leichter. Ihr würde schon irgendwas einfallen. Eine Beratung konnte niemals schaden.
Frau Gasperl äugte am nächsten Vormittag aus ihrer Tür, hinter der gleich die Küche lag, als Berenike zeitiger als sonst das Haus verlassen wollte, eine Thermoskanne Orangen-Ingwer-Tee im Rucksack. Sie rief der Vermieterin einen schnellen Gruß zu, um den Bus nach Bad Aussee zu erwischen.
»Schon wieder so viele Lawinen«, ereiferte sich die Hausfrau, strich die Hände an der Kittelschürze trocken und trat abwartend heraus. Es roch nach Griesbrei und angebrannter Milch.
»Furchtbar«, entgegnete Berenike und riss die Haustür auf.
»So viele sind heuer schon gestorben«, erklang es hinter ihr. »Manche Jahre sind echte Schreckensjahre. Ich erinner mich noch, wie der Wenzel am Loser blieben is’. Dabei hat er den Berg gekannt, war schließlich Revierförster. Die Schneemassen haben sich plötzlich gelöst und ihn verschüttet, seine Leiche hat man nie gefunden. 1964 war das.« Sie schüttelte den Kopf.
»Schönen Tag noch, Frau Gasperl!«
Weitere Kostenlose Bücher