Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
an die Zukunft geglaubt, wollte aus seiner Kunst etwas machen, aus seiner Musik.«
»Hast du alles abgesucht in der Wohnung, Tom? Vielleicht ist doch irgendwo ein Abschiedsbrief?«
»Es gibt keinen. Die Polizei war da. So ein Brieferl würde man offen hinlegen, sonst hat’s keinen Sinn – oder?«
»Stimmt. War übrigens der Markus bei dir?«
»Nein, wieso?« Toms Miene wirkte plötzlich verschlossen, als wäre ein Vorhang gefallen.
»Wegen irgendwelcher Videos. Er wollte mit mir hierher kommen. Aber dann hat er doch nicht auf mich gewartet. Und erreichen kann ich ihn nicht.« Ariane wählte noch einmal auf dem Handy. »Hebt schon wieder niemand ab. Das ist so gar nicht er. Der hat immer das Handy eingeschaltet!«
»Die Bergretter werden einen Einsatz haben, Ariane, meinst nicht?«, warf Berenike ein.
»Magst recht haben«, murmelte Ariane und starrte nachdenklich ihr Handy an, ehe sie die Verbindung unterbrach.
»Sind die Videos noch hier in der Wohnung?« fragte sie dann. »Oder hat die Polizei sie mitgenommen?«
»Sie haben nur Daniels Laptop untersuchen lassen, vielleicht kommt dabei was raus. Aber wie gesagt, kein Brief, nichts. Und von Videos weiß ich nichts.«
»Es ist komisch, wie man’s auch dreht und wendet. Man macht doch keine Therapie«, überlegte Ariane, »wenn man sich umbringen will. Oder, Berenike, was meinst du?«
»Du hast doch selbst gesagt, der Saller sei ein kleines Licht als Therapeut, nicht wahr?«
»Man hört nicht besonders viel Gutes über ihn, das nicht«, meinte Tom und hantierte an der Kaffeemaschine. Natürlich verfügte auch er über so ein neumodisches Ding, wo der Kaffee in schicken bunten Kapseln eingeschweißt war – nichts mehr mit Riechen an den frisch gemahlenen Bohnen.
»Wenn ihm der Therapeut nicht helfen konnte, sah er vielleicht doch keinen anderen Ausweg als den Tod.«
»Das wäre schrecklich.« Tom stellte eine Tasse in die Kaffeemaschine. »Übrigens, angeblich zahlt Stettins Stiftung für die Therapie beim Saller.«
»Wie bitte? Der Täter zahlt seinen Opfern eine Therapie?«
»Anscheinend gab es da irgendeine Regelung.«
»Das ist gar nicht so unüblich als Wiedergutmachung, wie ich gehört habe«, meinte Berenike. Sie erinnerte sich an Medienberichte über sexuelle Übergriffe von Geistlichen in den USA, in denen genau solche Vereinbarungen getroffen worden waren.
»Genau. Ein paar ehemalige Schüler aus dem Internat wollten Anzeige erstatten. Sie sind zunächst zur Diözese gegangen, soweit ich mich erinnere, ihr gehört das Internat. Man hat sie lange hintan gehalten, sie mussten sich immer wieder rechtfertigen, warum sie die Vorfälle nicht früher zur Anzeige gebracht hätten. Dann gab es eine Vereinbarung, dass die Therapiekosten bezahlt werden, wenn die Burschen dafür auf die Anzeigen oder auf mediales Aufsehen verzichten.«
»Und darauf haben sich die Opfer eingelassen?«
»Was denn sonst? Manch einer braucht die Therapie, und psychologische Hilfe ist hierzulande leider nicht billig.«
»Ich weiß«, murmelte Berenike. »Es gibt zwar ein paar Therapieplätze, die voll bezahlt werden, aber das sind wenige.«
»Und warum der Deal mit dem Saller? Man weiß doch, wie wenig der zustande bringt«, meinte Ariane.
»Ihr werdet es nicht glauben, aber der Deal war, dass die Therapiestunden bei Anton Saller konsumiert werden. Der hat einen Vertrag mit Stettins Familienhaus. Die kaufen seine Stunden zu einem günstigen Satz ein. In so einer Einrichtung braucht man auch einen Psychologen, das ist normal. Und er ist zu bestimmten fixen Terminen dort verfügbar. Sozusagen als psychologischer Betreuer, wenn du so willst.«
»Nein. Das ist ja …«
»… zu verrückt, um wahr zu sein. Das hab ich mir auch gedacht, als ich davon g’hört hab.« Tom legte eine Kapsel in die Kaffeemaschine. Das Surren übertönte ihr Gespräch. Als die Tasse voll war, stellte er sie vor Ariane.
»Das hieße, wenn jemand zu Saller gekommen wäre, während er noch in dem Internat wohnte …«
»… und Saller hätte irgendwelche Andeutungen über Missbrauch jahrelang nicht öffentlich gemacht …«
»… dann dürfen die Opfer jetzt zu einem Mann gehen, der ein Komplize des Täters ist. Genau.« Tschak, die nächste Kapsel wanderte in die Maschine, das Surren erklang, sie schwiegen wieder. Berenike bekam eine Tasse vor die Nase gestellt. Zum Glück war sie nicht besonders voll. Tom stellte eine weitere Tasse zu und schäumte gleichzeitig Milch auf.
»Aber das
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