Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
dunklen, kalten Orten und wache vom heftigen Schlag meines Herzens auf. Dann kann ich wieder kein Auge zutun. Meinen Sie, das kommt vom Herz? Sollte ich einen Internisten aufsuchen?« Jetzt, wo sie davon sprach, erkannte Berenike, wie sehr alles, was sie sagte, stimmte – und dass dieses Erlebnis sie nach wie vor bedrückte.
»Das klingt nach Panikattacken. Wurden Sie denn nach Ihrer Befreiung betreut, konnten Sie sich aussprechen?«
»Ähm … na ja … ein wenig. Mein Freund ist Polizist, wissen Sie. Aber … ich bin selbständig und mir fehlt die Zeit, um mehr zu unternehmen. Somit habe ich das bisher vernachlässigt. Aber jetzt … jetzt geht es nicht länger ohne Hilfe.«
»Verstehe. Solche Zustände sind nicht ungewöhnlich nach dem, was Sie durchmachen mussten. Dagegen können wir sicherlich etwas tun.« Saller las seine Notizen, blätterte in seinem Kalender. »Wie ist es, wenn Sie wach sind?«
»Da geht es, einigermaßen. Mein Alltag verläuft fast so wie immer. Ich habe ein einigermaßen ausgeglichenes Privatleben.«
»Leben Sie allein?« Ein lauernder Ausdruck trat in Sallers Augen.
»Ja, aber mein Freund ist so oft wie möglich bei mir. Jetzt während der Ermittlungen überhaupt.« Jonas. Der Gedanke wärmte ihr das Herz.
»Ja?«
»Der Daniel hätte doch auch jemand gehabt.«
»Herrn Janettis Probleme hatten andere Ursachen, Frau … wie war gleich Ihr Name?«
Sie seufzte auf, fixierte den Therapeuten mit den Augen und ignorierte seine Frage. »Andere Ursachen? Was denn? Ist Gewalt nicht immer Gewalt, egal, ob man homo- oder heterosexuell ist?«
»Hm«, brummelte Saller und machte Anstalten, aufzustehen. »Ich muss wirklich los. Wenn Sie möchten, können wir einen Termin für nächste Woche vereinbaren. Ich schätze, dass Sie mit etwa fünf bis zehn Sitzungen eine Besserung erreichen müssten, wenn alles gut geht. Lassen Sie sich die Möglichkeit durch den Kopf gehen und wenn es für Sie passt, melden Sie sich bei mir. Hier«, er griff in ein Regal neben dem Tischchen, »meine Karte.«
»Was kann ich sonst noch tun? Ich habe gehört, dass jemand ein Buch schreiben wollte, um erlittene Gewalt aufzuarbeiten.«
»Ach ja? Kann sein.« Der Psychologe schlug mit Schwung seinen Collegeblock zu.
»Hilft denn Kreativität, was meinen Sie?«
»Schreiben kann durchaus nützen, gewisse Dinge im Leben, die einem widerfahren sind, zu bewältigen, zu verarbeiten. Das ist aber für jeden ein wenig anders«, blieb der Psychofritze vage. »Malen Sie oder stricken Sie, alles, was Ihnen gut tut und Sie sinnvoll beschäftigt, ist von Vorteil.«
»Aber Texte könnte man drucken lassen«, wagte Berenike einen Vorstoß. »Und mit der Geschichte anderen Menschen Mut machen. Mut, sich zu wehren. Meinen Sie nicht?«
»Da haben Sie recht.« Saller schürzte die Lippen. Er stand auf, strich über seine beige Hose, die picobello aussah, wie frisch aus der Putzerei. Weder der kleinste Schmutzfleck noch eine winzige Knitterfalte waren zu sehen. Fast langweilig. Saller verschränkte die Arme. »Beim Bertram Verlag kann man Ihnen sicher mehr dazu sagen, wie Sie vorgehen könnten. Dort erstellt man Ihnen ein unverbindliches Angebot, wenn Sie sich dafür interessieren.« Er wedelte mit den Händen. »Und jetzt muss ich wirklich los, Sie entschuldigen mich, bitte.«
»Schade, dass sich Daniel umgebracht hat, statt zu schreiben«, rutschte es Berenike heraus, bevor sie nachgedacht hatte.
Sallers Augen wanderten unstet im Raum umher, folgten dem Muster des Parkettbodens. »Das wäre sicher eine … ähm … interessante Geschichte geworden. Schließlich hieß der Daniel nicht immer Daniel und – aber, nun gut, Frau …«, er stockte wieder, sah sie endlich an. »Also, ich muss dann.«
»Roither ist mein Name, das nur nebenbei. Sie sagten, Daniel habe nicht immer Daniel geheißen? Wie denn?«
»Daniu«, Saller riss die Augen weit auf, »sagen Sie bloß, Sie wissen nicht, dass der kleine Rumäne vom Stettin gerettet worden ist? So hässlich und schmutzig wie er war, der Herr Pfarrer hat ihm eine neue Chance gegeben. Ja, ja, so is’ er, unser Pfarrer Stettin. Er rettet alles, ob in Wien oder Graz oder in der weiten Welt, da unten am Balkan oder was weiß ich wo.« Saller lachte auf und öffnete die Tür. »Wiederschaun, Frau Roither. Rufen’s mich an, wenn’s für Sie passt.«
26.
Ich habe den Tee lieber kalt und gelb.
(Winston Churchill)
»Wiederschaun«, machte Berenike überrascht. Langsam stapfte sie
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