Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Berenikes letzte Worte waren schon mehr Schreien von der Straße her. Auch nach Jahren im Ausseerland wurde sie von ihrer Vermieterin gesiezt. Auch recht.
Berenike sah den Bus von weitem, schlitterte ihm entgegen und winkte. Keuchend kletterte sie hinein.
»Griaß di«, grinste der Fahrer. Berenike hielt ihm das abgezählte Kleingeld hin und nahm ihr Ticket, während der Bus stürmisch anfuhr. Es waren nur wenige Minuten bis ins Zentrum von Bad Aussee. Dort angekommen, fand sie Sallers Praxis glücklicherweise schnell, die kleine Gasse lag unweit des Kurbads ein Stück hügelan.
»Guten Morgen, was kann ich für Sie tun? Die Praxis ist heute geschlossen.« Ein schlaksiger Mann um die 40 öffnete Berenike, sein Körper krümmte sich zu einem mehrfachen S.
»Grüß Gott, spreche ich mit Herrn Saller persönlich?«
»In der Tat, aber …« Er sah auf die Uhr. »Ich muss gleich weg, ohne Termin geht es nicht. Rufen Sie nächste Woche meine Sprechstundenhilfe an.«
»Es tut mir leid, mein Problem ist wirklich dringend.« Sie machte eine kurze Pause. »Daniel hat Sie empfohlen. Ich bräuchte wirklich bald einen Termin.«
»Daniel, soso.« Saller zuckte kaum merklich zusammen und rieb sich die Augen. »Der junge Mann tut mir furchtbar leid. Bedauerlich, dass er keinen Lebenswillen mehr hatte. Sie kannten ihn?« Seine Stimme hatte etwas Lauerndes bekommen.
»Nicht besonders gut«, schwächte Berenike ab. »Ich hab ein Problem und brauche Ihre Hilfe. Also, wenn Sie mich nehmen.« Sie zögerte. »Ich habe Schlafstörungen und so gut wie nie Appetit.« Das war nach der Geschichte im Bergwerk nicht einmal gelogen.
Sie betrachtete den Schnee im Vorgarten des Hauses, der sich fast bis zu den ebenerdig gelegenen Fenstern türmte. Es war still, für einen Moment, so still wie selten. Keine Vogelstimme, kein Automotor, nicht einmal Passanten gingen vorbei.
»Also wenn Sie überhaupt noch jemand nehmen, Herr Saller. Entschuldigen Sie, dass ich so herein platze, ich weiß, das ist unüblich. Aber ich war gerade in der Nähe und wollte kurz persönlich mit Ihnen sprechen. Um Sie vorab kennenzulernen.«
Saller trat einen Schritt zurück, sein Blick mäanderte durch den Eingangsbereich, schien immer knapp an Berenike vorbei zu wandern. »Na schön«, nuschelte er dann, »unterhalten wir uns einen Moment. Dann sehen wir, ob ich etwas für Sie tun kann, ob ich überhaupt der richtige Therapeut für Sie bin. Eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen, mit einer einzigen Sitzung ist es bei solchen Problemen wohl kaum getan. Sie wissen Bescheid über die Kosten?«
»Natürlich«, bestätigte Berenike.
»Von der Krankenkasse bezahlte Therapieplätze habe ich derzeit leider nicht. Sie müssen die Therapie zunächst selbst bezahlen und können bei der Krankenkasse um Kostenersatz ansuchen.« Saller winkte sie ins Haus und ging voran. Er öffnete eine weißgestrichene Tür zu einem Zimmer, das gemütlich wirken sollte, es aber nicht war. Zu bemüht waren der warme gelbe Anstrich, die Korbmöbel, ja sogar die Schlingpflanzen auf den Regalen und die Palme in der Ecke. Sallers leise Stimme, der gebückte Gang, als würde er sich für sich selbst entschuldigen – nein, diesen Mann würde sie nicht als Therapeuten haben wollen. Doch sie wollte etwas ganz anderes als ihre Diagnose. Zwei Ermordete waren zu Saller gegangen, vielleicht bekam sie mehr über die Morde heraus, die sie so beunruhigten, über diese in der Kälte ausgesetzten jungen Männer – und über den tatsächlichen seelischen Zustand dieses Daniel. Sie würde raffiniert vorgehen müssen. Aber das war nichts Neues.
»Also, Frau Roither? Sie meinen, ich kann was für Sie tun?«
»Ich …«, sie zögerte kurz, wieviel sie dem Psychologen über den Mordfall erzählen sollte. Dann entschied sie sich für die Wahrheit, soweit es ihre Situation betraf. »Ich wurde kürzlich entführt und im Ausseer Salzbergwerk festgehalten. Sie haben vielleicht in den Medien davon gelesen?« Sie schluckte. Natürlich war so etwas ein gefundenes Fressen für die Presse gewesen.
Saller nickte und griff nach einem Collegeblock und einem Kugelschreiber. Beides knallorange. Sie blinzelte ohne Brille – und erkannte dann: Auf beidem war in violetter Schreibschrift Sallers Name aufgedruckt. Der Psychologe warf ein paar Worte aufs Papier und nickte ihr nochmals zu. »Wie geht es Ihnen seither?«
»Ich habe Alpträume, kann lange nicht einschlafen. Gelingt es mir endlich doch, träume ich von
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