Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Berenikes Herz polterte unwirsch bei diesen Worten.
»Schsch, nicht am Telefon«, flüsterte Ariane. »Du magst recht haben. Ich kenne … dieses Haus auch nur von außen. Das letzte Mal war ich wohl vor meinem Umzug nach Wien dort. Das Grundstück liegt versteckt am Waldrand, abgelegen und einsam. Wenn sie wissen, dass du auf ihrer Spur bist, ist es dort ein Leichtes, dir was anzutun.« Ariane stockte, dann fuhr sie fort: »Ich könnte zu dir kommen und so tun, als würde ich ein Interview machen. Und dich kann ich als Fotografin ausgeben.«
»Meinst du?«
»Es ist natürlich blöd, dass Stettin nicht mit mir für seine Biografie zusammenarbeiten will. Da fallen wir womöglich auf. Aber irgendwie schaffen wir das schon.«
»Vielleicht finde ich eine alte Perücke«, überlegte Berenike, »als ich früher Theater gespielt habe, hatte ich ein paar davon. Sogar eine blaue war darunter.« Sie dachte kurz nach, konnte sich aber nicht mehr entsinnen, ob sie die Haarteile wirklich aufgehoben hatte, und wenn ja, wo. »Aber blau ist wohl eher nicht angeraten.«
»Nein, das glaube ich auch nicht. Also was ist, traust du dich?«
»Na gut, wagen wir’s.«
»Fein, ich hole dich ab. Wo bist du?«
»Ich bin in Bad Aussee, bei der Post.«
»Okay, bin in einer halben Stunde da. Kannst du mit einer Kamera umgehen?«
»Mit einer normalen schon.«
»Ich habe eine, die ein bisschen professioneller aussieht, so eine mit großem Objektiv. Du musst nur so tun als ob. Benimm dich einfach so hektisch du kannst.«
Das würde nicht schwer fallen, so was kannte Berenike noch aus ihrer Zeit in der Eventbranche.
Auf verschlungenen Pfaden ging es in Arianes Wagen nach Bad Mitterndorf, das von Langläufern und Schifahrern wie belagert wirkte. Von dort folgte Ariane einer schmalen, steilen Forststraße aus dem Ort hinaus. Ariane reichte Berenike eine Fotokamera. »Hier, dein Requisit. Fotografier damit, soll ja echt aussehen.« Die Journalistin grinste schief.
»Ich hab Perücken für uns gekauft«, fing Berenike an und hielt ein blondes Kunsthaarding hoch. »Faschingsbedarf, fiel nicht besonders auf. Möchtest du sie?«
»Nein, danke. Ich habe beschlossen, dem so furchtbar edlen Pfarrer Stettin«, Arianes Lippen verzogen sich spöttisch, »offen zu begegnen. Ich werde ihm auf den Kopf zusagen, welchen Verdacht ich gegen sein, ach, so idealistisch geführtes Heim hege.«
»Du willst von dem Missbrauchsverdacht sprechen?«
»Warum nicht? Einmal muss die Sache ans Tageslicht, auch wenn das den meisten nicht gefallen wird. Auch nicht denen, die davon nur gewusst und nichts unternommen haben.«
»Wenn das nur gut geht«, murmelte Berenike und sah aus dem Fenster. Dichte Wälder säumten den kurvenreichen Fahrweg. »Ich hoffe, dass wir endlich weiter kommen und Stettin zu einem Geständnis bringen können.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, antwortete Ariane und verdrehte die Augen.
Sie verlangsamte den Wagen. Vor ihnen öffnete sich ein weites Panorama. In der Ferne erkannte man Tauplitz und Grimming, schneebedeckt zeichneten sich die Berggipfel gegen den plötzlich fast kitschig blauen Postkartenhimmel ab. Vor einem gewaltigen Gebäudekomplex ließ Ariane den Wagen ausrollen.
Das Gelände wirkte riesig, es schien sich bis zum Waldrand zu ziehen. »Das Haupthaus war früher ein Kloster«, erklärte Ariane, während sie ihre Sachen schnappte und ausstieg. »Dann wurde es Internat, und schließlich hat Stettin es um ein Waisenheim erweitert.«
Sie schrammte mit dem linken ihrer hochhackigen Stiefel über den eisigen Boden, ruderte mit den Armen, fing sich wieder. Berenike war vorsichtiger, als sie ebenfalls ausstieg. Modernere Häuser gruppierten sich um den alten, zentralen Bau. Ariane deutete auf die kasernenartig hochgezogenen Bauten. Ein paar dunkelhaarige Burschen, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, lungerten vor dem geschwungenen Portal des alten Klosters herum. Ein Basketball lag verloren abseits im Schnee. Sie ließen Berenike und Ariane nicht aus den Augen, während sie auf das offenstehende Tor zugingen. Sie kamen ein paar Schritte näher, blieben knapp vor dem Tor stehen. Doch die Burschen hielten sie nicht auf, als Berenike hinter Ariane eintrat.
Eine Rezeption oder etwas in der Art gab es hier nicht. Kantinen-Kochdünste waberten durch die Luft, erinnerten Berenike unwillkürlich an eine Zeit, in der andere bestimmt hatten, was sie essen sollte – und wie viel. Dass man bestimmte Dinge in einer bestimmten
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