Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
damit dir wärmer wird.« Der Bub zögerte, nahm das Tuch, sah es an und wickelte sich darin ein wie in eine Decke.
»Wo ist deine Mama?«
»Weg. So weit weg. So lange fort.«
Der Blick in die Augen dieses Kindes, fast schon erfroren, erinnerte an die Toten, an die blaue Kälte ihrer nackten Haut. Erinnerte an Simon Einstatt, an Karl Wengott im eisigen Wasser des Sees, an Daniel und seinen Liebsten Paul unter den Schneemassen. Auch Daniel und Paul waren erfroren – so wie Simon Einstatt. In der Magenschleimhaut aller drei Männer waren bei der Obduktion punktförmige Blutungen gefunden worden. »Leopardenmagen nennt man das«, hatte Jonas ihr erklärt und sie hatte geschaudert. Nur Wengott war letztlich ertrunken, das hatten die gerichtsmedizinischen Gutachten ergeben. Dennoch passe das Bild der Todesarten in Eis und Schnee symbolisch zusammen, fand Mara, die Profilerin. Auch, dass zwei von ihnen nackt gewesen waren, den jüngsten Todesopfern fehlte auch einiges an Kleidungsstücken, die man laut Jonas nirgends gefunden hatte. Diese Gewalt, diese allerärgste Grausamkeit: Zu töten.
Eine Wärme stieg in ihr auf, dass sie den Buben in den Arm nehmen wollte, ihm die Tränen trocknen, ihn wärmen und nie wieder fortlassen. Kinder sollten nicht so einen traurigen Blick haben müssen, um nichts in der Welt. Sie legte ihm sanft einen Arm auf die Schulter. »Alles wird gut, Kleiner!«, flüsterte sie und glaubte selbst nicht so recht daran.
»Komm mit, Niku«, schmeichelte Ariane, doch der Kleine wand sich bockig aus ihrem Griff. »Na schön«, sie seufzte unterdrückt, »dann muss ich den Wagen herholen. Aber das wird ein bissl schwierig.«
»Ich laufe dort hin.« Niku deutete zu einer Baumgruppe jenseits der Wiese. »Niemand wird mich sehen. Es gibt Straße im Wald. Kleine Straße.«
»Ein Forstweg wahrscheinlich.«
»Weiß nicht«, er zuckte die Achseln und stolperte ohne weitere Ankündigung durch den Tiefschnee davon.
28.
Heißer Kakao
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie Niku wiederfanden. Immer wieder blieben sie im Schlamm stecken, die Räder drehten durch. Irgendwie schafften sie es dann doch, Niku einzuholen. Ariane blieb mit laufendem Motor stehen, der Junge riss die hintere Tür auf, sprang in den Wagen, schon fuhr Ariane wieder los.
»Wir fahren zuerst zu mir«, entschied Ariane nach kurzem Überlegen und holperte den schmalen Fahrweg talwärts. »Du brauchst etwas Frisches zum Anziehen, dann geht’s ins Krankenhaus.« Sie lächelte Niku zu, doch der duckte sich schweigend in eine Ecke des Wagens. »Alles wird gut, Niku, wir helfen dir, deine Mama zu finden, versprochen!«
Immer wieder blickte Ariane in den Rückspiegel. »Der Wagen da hinten gefällt mir nicht«, murmelte sie. »Der grüne Renault. Er folgt uns schon die längste Zeit.«
Auch Niku war aufmerksam geworden, spielte mit dem Griff an der Tür.
Ariane drückte einen Knopf. »Ich aktiviere lieber die Kindersicherung, wer weiß, was ihm aus lauter Angst einfällt«, flüsterte sie und warf einen Blick in den Rückspiegel.
Kurz vor Bad Mitterndorf war der grüne Wagen nicht mehr zu sehen. »Vielleicht haben wir Glück gehabt und es war nur Zufall«, meinte Berenike.
»Hoffentlich.«
Ariane bog in die Straße, die den Beginn des Ortsteils Thörl markierte, und parkte vor ihrem Haus, das jetzt gar nicht mehr verlassen wirkte. Ein paar Meisen stritten sich lautstark am Futterhäuschen, aus dem Rauchfang waberte eine friedliche weiße Wolke.
»Kommt rein.« Ariane führte sie ins Haus. Im Schlafzimmer öffnete und schloss sie ein paar Kastentüren. »So, Niku, hier sind frische Klamotten von einem Freund von mir, die kannst du anziehen.«
»Sicher?«
»Sicher.«
Zögernd griff Niku nach dem Pullover.
»Berenike und ich sind nebenan in der Küche, ich mache für uns alle Kakao, das wird uns wärmen. Ich habe Lust auf eine riesige Tasse davon. Ihr auch?«
Der Bub nickte, sah eine kleine Spur entspannter drein und zog die Jacke aus. Auch Berenike freute sich auf ein warmes Getränk. In der alten Bauernküche nahm Ariane Milch aus dem Eiskasten, goss die weiße Flüssigkeit in einen großen Topf, rührte Kakaopulver in einer blauen Emaillekanne an.
»So.« Der Kleine stand abwartend wie auf dem Sprung in der Tür.
»Bravo! So siehst du gleich viel besser aus!«, rief Ariane. Niku trug einen frischen grünen Pulli und grüne Cordhosen. »Und jetzt erzähl, bitte: Was ist passiert, wo kommst du her?«
»Herr Pfarrer
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