Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
ist zu uns gekommen. In mein Dorf. Daheim.«
»Bulgarien?«, riet Berenike, die den Namen Niku dem Land zuordnete.
»Belarus. Dort, ich lebe mit meiner Mama.«
»Weißrussland also«, meinte Ariane.
»Herr Pfarrer hat versprochen, dass meine Mama nachkommt. Und jetzt, ich warte schon so lange auf sie.«
»Seit wann bist du hier?«
Der Kleine sah sie aus großen Augen an. »Weiß nicht …« Das Letzte kam fragend heraus. »Ein paar Monate?«
»Und wie war das, wie bist du hierher gekommen?«
»Lange Autofahrt. Mit Herrn Pfarrer.«
»Mit welchem Herrn Pfarrer?«
Der Bub sah zu Boden.
»Kennst du seinen Namen? War es Pfarrer Stettin?«, fragte Ariane. »Der Mann, der das Haus leitet, von dem wir gerade kommen?«
»Ja«, kam es von Niku.
Berenike wollte etwas einwerfen, aber Ariane runzelte warnend die Brauen, schüttelte leicht den Kopf.
»Wolltest du denn gern hierher kommen, Niku?«
»Erst schon. Herr Pfarrer hat mir gegeben Auto, so«, er deutete ein Spielzeugauto an, »Mercedes. Ich bin Einziger, der hat so ein Spielzeug. Herr Pfarrer hat gesagt, ich bekomme viele Autos, da wo er lebt. Hier, ich wohne zuerst in großem Zimmer. Und Freunde. Viele Freunde.« Er stockte. »Ich wohne mit fünf Kindern in einem Raum. Und das Spielzeug …« Er machte eine wegwerfende Geste, die Berenike das Herz zerriss. »Herr Pfarrer hat gesagt, ich bekomme eine neue Mama. Und einen Papa. Ich habe nie einen Papa gehabt, hab ich gesagt. Herr Pfarrer hat gelacht und mich gestreichelt. Muss man einen Papa haben?« Niku sah fragend zu Ariane auf, die die heiße Milch vom Herd nahm und durch ein Sieb in die Kanne goss.
»Nein, muss man nicht, Niku. Wenn einen die Mama recht viel lieb hat, und das hat deine ganz sicher, dann geht das auch.« Ariane rührte den Kakao in der Kanne um. »So, fertig.« Sie schenkte die dampfende Flüssigkeit in blaue Tassen.
»Hier, bitte, Niku. Lass es dir schmecken!« Ariane schob ihm eine Tasse vor die Nase. »Und du, Berenike? Möchtest du Rum in den Kakao?«
»Lieber nicht, nein, danke.«
»Also gut.«
»Ich will keine neue Mama. Ich hab schon meine Mama. Deshalb ich bin weggelaufen in Scheune. Ich wurde in das Zimmer des Herrn Pfarrer gerufen und dann …«
Er griff nach seiner Tasse, hielt inne. Vor dem Fenster färbte die untergehende Sonne die Wolken rosa.
»Ich werde zu meiner Mama fahren.« Er trank schnell, schluckte geräuschvoll, dann knallte er die leere Tasse auf den Tisch und sprang auf.
Ariane drückte ihn sanft zurück auf die Bank. »Zuerst brauchst du einen Arzt. Ich verspreche dir, du wirst deine Mama so schnell wie möglich sehen. Wir werden dir helfen. Niemand hat ein Recht, dir etwas anzutun. Niemand hat ein Recht, dich zu berühren, wenn du das nicht willst.«
Niku war zwar sitzen geblieben, doch seine Augen wanderten unruhig zwischen Ariane und der Tür hin und her. »Ja, aber …«
»Das war es doch, was der Pfarrer getan hat? Wollte er dich berühren?«
Niku schwieg. »Ich–« Er sprang auf, tigerte unruhig durch den Raum.
»Du musst irgendwo schlafen, nicht wahr? Ich rufe meinen Arzt an, er wird sich deine Verletzungen ansehen. Er wird dich behandeln, damit es dir besser geht, hm?«
Niku spielte nervös mit der Tasse.
»Ich lebe allein«, beruhigte ihn Ariane, »soll ich dir das Haus zeigen? Es gibt ein Gästezimmer, du kannst es haben, so lange du es brauchst. Willst du es dir ansehen? Komm mit.«
Zögernd stand der Bub auf.
»Wer auch immer dir etwas angetan hat, es war falsch und er wird dafür bestraft werden. Das verspreche ich.« Beim Hinausgehen raunte die Journalistin Berenike zu: »Bitte, bleib noch einen Moment, ich muss was anderes mit dir besprechen.«
»Ja, gut.«
»Ist annehmbar.« Niku kam grinsend mit Ariane in die Wohnküche zurück getapst. »Dann bleibe ich bei dir.«
»Schau mal, was ich hier habe.« Die Journalistin hielt ihm ein kleines Gerät unter die Nase und grinste.
»Eine Playstation, wow!«
»Magst du sie ausprobieren?«
Rasch schnappte Niku nach der Spielkonsole. »Oh, fein!«, jubelte er, dann brach er ab. »Damit darf ich wirklich spielen?«
»Na klar, so etwas ist für Kinder da!« Ariane verkabelte die Konsole mit dem Fernsehgerät. »Mein Patenkind kommt nicht so oft zu Besuch.«
»Danke.« Sofort war der Bursche von dem Geschehen auf dem Bildschirm vereinnahmt.
»Hast du deinen Arzt schon erreicht?«, fragte Berenike leise.
»Hab ich.« Ariane stellte die leeren Tassen auf ein Tablett und blickte auf
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