Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
die Uhr. »Er kommt, sobald er seine Ordination zusperrt. Berenike, ich wollt mit dir über etwas reden, was mir Gerhard erklärt hat.«
»Der Bergarbeiter, der uns aus dem Stollen gerettet hat?«
»Ja.« Ariane stellte das Geschirr in die Abwasch.
»Traust du ihm?«
»Natürlich!« Die Journalistin sah auf, eine Tasse rutschte ihr aus der Hand und zerbrach klirrend.
»Hundertprozentig?«
»Aber klar.« Ariane nickte. »Wo denkst du hin?!«
»Vielleicht ist er der Böse.«
»Wie meinst du das?« Eine Falte erschien auf Arianes Stirn, gab einen Vorgeschmack darauf, wie sie wohl in ein paar Jahren aussehen mochte, in denen sie das freiberufliche Leben beuteln würde, in denen sie um den Erhalt ihres alten Hauses kämpfen würde müssen, ebenso um Geld für das Auto, die Sozialversicherung, ja, sogar fürs Essen vielleicht. Berenike wünschte es ihr nicht, aber kaum jemand, der sich selbständig machte, erlebte keine solche Phase.
»Ariane, wer kann sicher sein, dass es nicht Gerhard war, der uns gefangen hielt?«
»Und warum hätte er uns dann entdecken und befreien sollen?«
»Er hat von einem abgelegenen Stollen gesprochen. Wer wusste, dass man uns da gefangen hielt, außer dem Täter?«
»Gerhard sagt selbst, dass das ein Glück war. Man muss sich auskennen, um den alten Stollen zu finden. Er sagt, er sei einer der wenigen, die diesen Abschnitt im Rahmen ihrer Tätigkeit ab und zu begehen. Der Täter muss ein Mann sein, der sich sehr gut im Bergwerk auskennt.«
»Ein Bergmann also. Gerhard arbeitet im Bergwerk.«
»Berenike, glaub mir, ich kann mir nicht vorstellen, dass er so was tut.«
»Hm. Wenn es nach Jonas geht, ist das die Aussage, die das Umfeld am häufigsten über entlarvte Täter macht. Du glaubst ihm, obwohl er vorbestraft ist?«
»Na und? Das waren Jugendblödheiten. Der Gerhard ist aufrichtiger als viele andere hierzulande.«
»Wie du meinst.« Berenike zuckte mit den Schultern und setzte sich bequemer hin. Der Arm schmerzte wieder schlimmer, das unangenehme Gefühl zog sich bisweilen rauf in den Nacken.
»Verspannt?«, fragte Ariane mitfühlend.
»Im Nacken. Womöglich noch von – du weißt schon.«
»Natürlich. Soll ich dich massieren?«
»Kannst du das denn?«
»War nur ein Angebot.« Die Journalistin wandte sich ab und fing an, die schmutzigen Tassen abzuwaschen.
»War nicht so gemeint, Ariane. Kannst du dich mittlerweile erinnern, wer dich überfallen hat?«
»Nein. Es ist wie ein schwarzes Loch in meinem Kopf. Erschreckend, dass einem so ein Stück Erinnerung einfach flöten gehen kann.« Gedankenverloren zerknüllte Ariane eine orange Papierserviette. »Möchtest du noch was trinken? Ein Glas Rotwein vielleicht? Das wärmt.« Ariane ließ die Serviette in den Mistkübel fallen und sah Berenike fragend an, warf einen schnellen Blick auf die Küchenuhr. »Oder Tee?«
»Nein, danke. Ich werde mich auf den Weg machen. Ich bin ziemlich müde.«
»Natürlich, ich werde dich fahren. Niku, komm, wir bringen Berenike nachhause.«
Keine Reaktion.
»Niku?« Ariane lugte um die Ecke ins Wohnzimmer.
»Wie bitte? Was?« Niku hatte sich bequem aufs Sofa gelümmelt und ließ unwillig die Spielkonsole sinken.
»Komm jetzt, du kannst später weiterspielen.« Ariane schaltete die Geräte aus. Sie zogen sich an und verließen das Haus. Schneegestöber hatte eingesetzt, ließ die Landschaft trotz der Dämmerung heller wirken. Sie stapften zum Wagen. Etwas knackte. Berenike fuhr herum. Niemand war zu sehen. Wahrscheinlich ein Eiszapfen, der durch die Sonne vorhin so sehr geschmolzen war, dass er abbrach. Kein Mensch war zu sehen. Nur der Schnee fiel und fiel und fiel und machte die beginnende Nacht weich und kalt und tödlich. Stumm fuhren sie los.
28.
Darjeeling White
»Eine Katastrophe, Berenike!« Das Düdeldüdeldüdelüüü des Handys weckte Berenike am frühen Morgen. Helena war in der Leitung, sichtlich aufgelöst. »Mein Dirndl wird nicht fertig. Ich war gerade in der Schneiderei. Keine Chance. Was trage ich denn jetzt zum Trachtenball? Ich weiß mir keinen Ausweg.«
Endlich hatten sich Berenike und Helena die Karten für das Tanzereignis im ›Grünen Kakadu‹ bestellt. Der Ball war einer der Höhepunkte der hiesigen Faschingszeit. Helena hatte sich auf ihr Dirndl gefreut – »Endlich eines in den Ausseer Farben!«, hatte sie nach der Bestellung geschwärmt. Und jetzt so etwas. Da machten die Trachtenkleider für die Damen bereits dieselben Probleme, wie sonst
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