Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
die Lederhosen für die Herren, auf deren Maßanfertigung manch einer jahrelang wartete. Verrückt.
»Eigentlich ist es meine Schuld, ich habe so zugenommen und das Kleid passt nicht mehr. Es müsste noch einmal aufgetrennt und geändert werden und dafür braucht sie mehr Stoff und …« Ein Seufzen drang aus dem Hörer. »Was zieh ich nur an heute Abend?« Jetzt kam die Künstlerin in Helena durch, die sich in ihrem Alltag als Gaifahrerin eigentlich recht praktisch gab.
Berenike drehte sich im Bett herum und murmelte: »Es gibt doch sicher irgendeinen Kostümverleih oder sowas. Leih dir halt ein Trachtenkleid aus.«
»Aber …«
»Welche Alternativen gibt es sonst? Ich habe auch nichts anderes. Wenn du dermaßen zugenommen hast, könnt ich dir eh nix leihen, was dir passt, auch wenn wir gleich groß sind.«
»Hast recht, Berenike. Na schön. Dann muss ich wohl nach Liezen fahren.«
Als ob es im Moment nichts Schlimmeres gäbe, als ein nicht zur Verfügung stehendes Kleid … Berenike grüßte und legte auf. Sie drehte sich noch einmal im Bett herum, die Katzen sanken ebenso in Schlaf wie sie selbst.
Am Nachmittag tauchte Jonas bei ihr auf. Er würde mit zum Ball kommen. Wegen des aktuellen Falles hatte er nicht gewusst, wann er eintreffen würde. Doch da die Ermittlungen irgendwie stagnierten, war er jetzt selbst froh über die Abwechslung. Er und seine Kollegen hatten für heute Feierabend gemacht.
»Schau, ich hab noch ein paar Beigln erkämpft!« Wie eine Jagdbeute hielt er das Gebäck hoch und grinste dabei. Während sie diese knabberten, weißen Darjeeling Tee schlürften und gemütlich am Sofa faulenzten, verging Berenike die Lust aufs Ausgehen.
»Aber geh, Nike, was soll das auf einmal? So ein Ball wird uns ein Weilchen ablenken von dem Grauen. Du wolltest doch die ganze Zeit hingehen!«
»Stimmt.« Es würde ihr erstes Mal sein, dass sie den Trachtenball besuchte. Sie hatte endlich einmal dabei sein wollen, Helena hatte sie in dem Vorhaben bestärkt. Sie zog ihr Trachtenkleid an, Jonas trug Lederhose – passte ihm gut, mal was anderes als das schwarze Motorradzeug, das ihm zu seinen dunklen Haaren aber ebenfalls gut stand.
Ariane stand vor dem Gasthaus und rauchte. In dem violett-grünen Dirndl sah sie noch dünner aus, als sie sowieso schon war. »Der Gerhard hat mich überredet, her zu kommen«, sagte sie und sah sich nach dem Bergarbeiter um. Er stand mit einem älteren Mann in Tracht abseits und rauchte auch, während beide laut lachten.
»Was war mit dem Jungen, was sagt der Arzt?«, flüsterte Berenike so leise, dass es außer ihnen beiden hoffentlich niemand hören konnte.
»Spricht von Misshandlungen, Erfrierungen.«
»Und wie kann es dazu gekommen sein?«
»Der Bub muss extremer Kälte ausgesetzt gewesen sein. Zum Glück sind es nur sogenannte Erfrierungen zweiten Grades. Dabei wird die Haut blass, es bilden sich blau-rote oder braune Spuren. Jemand muss ihn notdürftig erstversorgt haben, sagt der Arzt.«
»Wie schrecklich. Wer macht so was?«
Ariane zuckte mit den Achseln. »Der Kleine redet nicht darüber. Er sagt nur immer wieder was von ›Strafe‹, mehr nicht.«
»Wir müssen Jonas davon erzählen.«
»Noch nicht. Der Kleine hat Angst. Das hast du doch gesehen.«
»Vielleicht hat er sich bei der Kälte irgendwo verirrt? Oder es war ein Unfall? Ist er im See eingebrochen?«
»Das glaubst du doch selbst nicht, Berenike, oder?«
»Nein. Ich würde nur gern glauben, dass das keiner wem antut, schon gar nicht einem Kind.«
»Der Bub kann nicht eislaufen, ich hab ihn extra danach gefragt, ob er vielleicht zu lange draußen war. Zumindest hat er kaum Schmerzen, sagt der Arzt. Und seine Hüfte ist geprellt. Man kann nur hoffen, dass nicht das ganze Gewebe abstirbt. Wir müssen abwarten, bis die Heilung eintritt. Vielleicht fasst der Junge mit der Zeit Vertrauen. Dann können wir die Polizei einweihen.«
»Wenn du etwas Wichtiges erfährst, lass es mich wissen. Ich sag’s Jonas weiter. Falls es für die Ermittlungen nötig ist. Er behandelt das auf jeden Fall vertraulich.«
»Aber wir müssen den Kleinen schützen …«
»Natürlich. Doch wir wollen beide, dass die Schuldigen an all dem gefasst werden, oder nicht?« Berenike sah Ariane prüfend an. Wieder kamen ihr Zweifel, was sie von der Journalistin halten sollte. Auf wessen Seite stand sie wirklich?
Ariane nickte. »Natürlich. Ich will Gerechtigkeit.« Sie dämpfte ihre Zigarette aus, hob den Stummel vom Boden
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