Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
auf und steckte ihn in ihre Tasche. »Lass uns reingehen.«
Im Grünen Kakadu ging es bereits heiß her. Eine Männerrunde stand scherzend an der Bar und erzählte sich Anekdoten vom Schifahren. Drei junge Frauen in Dirndln liefen kichernd vorbei, während eine von ihnen ihr Dekolleté weiter nach unten zog. Die Männer warfen den Frauen Blicke zu, die Frauen den Männern ebenfalls. Alle lachten.
Sie legten ihre Mäntel ab und betraten den Tanzsaal, wo schon eifrig musiziert und ›gepascht‹ wurde. Berenike nahm Ariane zur Seite, während Jonas mit Gerhard weiterging, um den reservierten Tisch zu suchen. Von Max, dem Wirt, war nichts zu sehen. »Und wo ist Niku jetzt?«, fragte Berenike leise.
»Bei mir zuhause.« Ariane runzelte die Stirn. »Nicht ideal, ich weiß. Er wollte mitkommen, und mir wäre auch lieber gewesen, ich hätte ihn im Blickfeld. Aber das wäre extrem gefährlich geworden, wer weiß, wer heute hier aufläuft. Ich hab ihm fest eingebläut, alles gut zu verschließen und nicht an die Tür zu gehen, sollte jemand anklopfen. Ich habe das Jugendamt informiert und um Hilfe bei der Suche nach seiner Mutter gebeten, aber bis Montag wird nicht allzu viel passieren. Immerhin haben sie Kontakte nach Minsk zu einer Partnerorganisation. Hoffen wir, dass das klappt und Niku zurück kann.«
»Und was ist, wenn sie die Frau nicht ausfindig machen?«
»Dann bleibt er bei mir.«
»Seine Mutter wird doch Vermisstenanzeige erstattet haben, meinst du nicht?«
»Glaubst du? Wer weiß, wie die Sache wirklich vor sich ging – so, wie die Verhältnisse dort sind. Vielleicht hat Stettin der Frau Hoffnung auf Einwanderung nach Österreich gemacht. Oder irgendwas in der Art. Glaub mir, ich hab schon die wildesten Dinge darüber gehört, wenn die Polizei mal wieder stolz darauf ist, ein paar ›illegale Ausländer‹ hochzunehmen.« Ariane verstellte ihre Stimme, als sie den häufigen Wortlaut zitierte. »Als ob ein Mensch illegal sein könnte. Tss.« Sie schnaubte empört. »Weißt, ich hab schon viele wilde Sachen recherchiert, wenn ich was für die Chronik schreibe. Familien, die ihre Kinder in den Westen verkaufen, sind noch eins der harmloseren Dinge.«
»Schauderhaft.«
»Viele sehen halt keinen anderen Ausweg aus ihrer Armut.«
»Was gibt’s da zu tuscheln?« Gerhard saß bereits, Jonas sprach mit einem Kellner.
»Nichts Wichtiges«, meinte Ariane schulterzuckend. Jonas musterte sie nachdenklich. Helena in einem schwarzen Winterdirndl kam kurz vorbei, begrüßte sie und eilte weiter. Hans, der mit seiner Musikgruppe aufspielte, winkte ihnen von der Bühne aus zu. Junge Pärchen schwangen das Tanzbein, ältere mischten sich darunter. Noch einmal 20 sein … Berenike wurde ein kleines bisschen wehmütig ums Herz. Dabei war es nicht einfach für sie gewesen damals, sie erinnerte sich zu gut an das Gefühl der Verzweiflung, als sie noch nach ihrem Weg gesucht hatte, ehe sie Karriere in der Eventbranche gemacht hatte und keine Zeit mehr zum Nachdenken geblieben war.
Jonas erhob sich und verbeugte sich galant, indem er eine Hand ans Herz legte. »Darf ich bitten, meine Dame?« Diese Veilchenaugen, nur eine Spur spöttisch. »Oder muss ich mich vor dir auf die Knie werfen?«
Berenike musste lachen. »Gern, mein Herr.« Dabei neigte sie ihren Kopf ein wenig, wie damals in der Tanzschule, echt biedermeier-like, ebenso wie die Schritte des langsamen Walzers, den sie in- und auswendig gelernt hatten. Hier jedoch spielte die Musik eben zu einem flotten Steirischen auf. Dieser Tanz gehörte nicht zum Repertoire einer solch noblen Tanzschule, doch mit einem Steirer an ihrer Seite – beziehungsweise einem, der zwar in England aufgewachsen war, aber dann in die Geburtsstadt seiner Mutter übersiedelt war – hatte sie die Schritte rasch erlernt. Sie schmiegte sich an Jonas. Endlich Wärme, nach all dem Eis und Schnee. Jonas schlang die Arme um Berenikes Taille, sie legte die ihren auf seine Schultern. Und los ging es, im Kreis herum, immer wieder, herum und herum und herum, im Takt der Musik, im Takt ihres Herzens.
»Ganz schön viel los«, keuchte Berenike, als das Musikstück zu Ende war. Abwartend blieb sie neben Jonas auf der Tanzfläche stehen.
»… der arme junge Mann«, schnappte sie die Worte eines älteren Mannes mit halber Glatze auf, der sich zu seiner rotwangigen Tanzpartnerin beugte. Die Morde waren immer noch Tagesgespräch.
»Es ist ein Jammer«, erwiderte die Frau und wischte sich dabei wie
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