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Narrentod

Titel: Narrentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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schnelle Aufklärung des Falls hat sich zerschlagen. Jürg Lüthi begleitet mich.
    Es bläst der Föhn über den See. Auf Eiger, Mönch und Jungfrau erstrahlt der Firn im feurigen Abendrot. Müsste man jetzt nicht die Nationalhymne anstimmen? Die Blüemlisalp wirkt eigenartig nah und klar. Über dem Niesen ziehen ein paar glutrote Wolkenfetzen, die sich mit dem imposanten Dreieck des prototypischen Berges im aufgerauten Wasser des Sees widerspiegeln. Die Stockhornkette schafft, wie selbstverständlich, einen formalen Übergang zwischen zerklüfteten Alpen und flachem Mittelland. Über dem Aaretal gegen Bern hin werden dunkelgraue Wolkenbänder zu einem monumentalen, plastischen Gebilde aufgeschichtet, das im blutigen Gegenlicht an ein himmlisches Riesengedärme erinnert. Hat sich die ganze Thunerscheiße in Luft aufgelöst? Schön wär’s. Aber zuvor werde ich mit meinem Assistenten noch gründlich darin herumwühlen müssen.
    Der Fall Dummermuth hat sich mit Eichenbergers Einlieferung definitiv zum Fall Fulehung erweitert. Sind wir überhaupt noch imstande, all die Fakten zu verdauen? Was wird in der Zwischenzeit eigentlich bei der Kantonspolizei geköchelt? Wär’s nicht allmählich an der Zeit, dass uns Hauptmann Geissbühler wieder einen amtlichen Happen vorsetzt?
    In meiner Küche öffne ich das Fenster zum See hin.
    »Willst du was trinken, Jüre ?«
    »Ein Bier.«
    »Hab ich nicht. Wie wär’s mit einem Glas Syrah Mornac ?«
    »Danke. Dann lieber ein Glas Wasser.«
    Banause !, denke ich. Sagen tu ich nur: »Gerne. Mit oder ohne Kohlensäure?« Wie eine Servierdüse.
    Wir wollen ja zusammen arbeiten und nicht über tunesischen Wein streiten. Ich kenne zudem Jüres Meinung: In einem muslimischen Land, in dem den Gläubigen der Alkoholgenuss verboten ist, kann kein guter Wein produziert werden. Wer nicht selbst trinkt, was er herstellt, ist für Qualität nicht zuständig. Aber sind die Araber tatsächlich auch die Winzer? Was ist mit den vielen Juden in Tunesien? Wer keltert den Wein? Keine Ahnung. Ich weiß nur, wer ihn trinkt: ich.
    »Wieso lebst du eigentlich so gesund, Jüre ?«
    »Tu ich das ?«
    »Ich find schon. Wasser statt Wein? Velo statt Auto? Pumpernickel statt Züpfe? Willst du ewig leben ?«
    »Wenn ich seh, wie schnell man in Thun tot sein kann, häng ich schon am Leben .«
    »Weshalb hast du eigentlich Schriftsetzer gelernt und nicht irgendetwas Gesünderes ?«
    »Warum? Es gib nichts Gesünderes. Meine zukunftslose Lehre hat mich doch vor jeglicher Arbeit verschont. Ausschlafen, Zmörgele, Zeitung lesen, Spazieren, auf die Gemeinde stempeln gehen und am Nachmittag im Schadaupark auf dem Ranzen liegen. Arbeitslose wie ich leben gesünder. Jedenfalls droht mir kein Burnout, kein Mobbing, kein Stress, keine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, kein …«
    Ich unterbreche ihn. »Da verpasst du vielleicht etwas .«
    »Was?«
    »Die sexuelle Belästigung der vollbusigen Chefsekretärin, zum Beispiel.«
    »Ich stehe nicht so auf Dominas, Hanspudi. Aber wie sieht’s eigentlich bei dir aus ?«
    Statt einer Antwort stelle ich eine Gegenfrage. »Jüre, woran erkennst du eine türkische Domina ?«
    »Sag schon«, antwortet er.
    »An ihrem Lederkopftuch.«
    Jüre schmunzelt nur. Er kennt den Witz vermutlich schon. Vom Witz zur Schweizer Armee ist es ein kleiner Schritt. Die Schweizer Armee als Witz? Nein, behüte, so meine ich es nicht. Immerhin gilt der Bund als bester Thuner Arbeitgeber. Aber ich habe im bisherigen Leben niemals mehr Witze gehört als während meiner Militärdienstzeit. Jüre kann das bestätigen. Und er fügt an, dass nach seinen Erfahrungen diese Witze nur noch durch die Realsatire des Dienstbetriebes überboten wurden.
    »Die erste Domina ist mir während eines Wiederholungskurses in der Nähe von Morcote im Tessin begegnet«, beginnt er seine Schilderung. »Und ich spreche nicht etwa vom Feldweibel«, ergänzt er augenzwinkernd.
    Ich verkneife mir die Frage, ob es daran liegt, dass in seiner Einheit gleichberechtigte Wehrfrauen eingeteilt sind. Inzwischen werden helvetische Kampfsäue geschlechtsneutral als ADA s bezeichnet, Angehörige der Armee. Das tönt nach Familie. We are familiy. Eröffnen wir darum das Feuer ausschließlich auf hartnäckige Weichziele, die unseren europäischen Nachbarn bereits durch die Lappen und sämtliche Sperren gestürmt sind?
    Jüre erzählt: »Ich war Offputz im Stab eines Tessiner Infanterie-Bataillons. Für die letzte Nacht des dreiwöchigen

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