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Narrentod

Titel: Narrentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Neigung berücksichtigt. Kippt sie eher nach rechts oder nach links ?«
    »Was würdest du beispielsweise aus einer Schrift folgern, die nach links neigt ?« , fragt mein Assistent.
    »Isoliert ist ein Merkmal schwierig zu deuten. Aber es könnte sich um die Handschrift eines Menschen handeln, der sich eher traditionellen Werten verpflichtet fühlt, etwas zögerlich und vorsichtig in der Welt steht und die Tendenz zeigt, drei Schritte nach vorn und zwei zurück zu tun«, erkläre ich.
    »Aha. Die Schrift eines Zauderers?«
    »So krass darfst du es nicht zusammenfassen, Jüre .«
    »Und worauf achtest du sonst noch ?«
    »Die Längenbetonung innerhalb der drei Zonen ist ziemlich aussagekräftig. Auffällige Unterlängen könnten auf emotionale, sinnlich gestimmte Menschen hinweisen, aber auch eine gute Verwurzelung in der aktuellen Lebenswirklichkeit belegen. Man muss mehr über die Menschen erfahren, um ihre Schrift zu deuten. Am besten spricht man dazu mit ihnen .«
    »Nun gut. Aber dann ist es ja kein reines Schriftlesen mehr, wenn du die Leute zuerst ausfragst und danach ihre Antworten an formale Kennzeichen der Schriftproben heftest«, kritisiert Jüre.
    »Eine Handschriftdiagnostik stellt keine exakte Wissenschaft dar. Es bleibt ein großer Interpretationsspielraum. Dieser kann umso besser ausgefüllt werden, je mehr Erfahrung ein Grafologe gesammelt hat. Es wäre unverantwortlich, auf den Dialog mit den Menschen zu verzichten, nur um sie mit einer Ferndiagnose zu verblüffen .«
    »Worüber kannst du nach der Analyse Aussagen machen ?« , fragt Jüre.
    »In erster Linie über die physische Spannung des Schreibers. Es macht einen sichtbaren Unterschied, ob jemand voller Wut eine Zeile hinschmeißt oder in tiefer Trauer nach Worten ringt. Eine kräftige und eine zittrige Hand erzeugen andere Spuren. Die Grundstimmung des Schreibers ist zentral. Dann erlauben Schriftproben auch Aussagen über das Selbstvertrauen, das Geltungsbestreben und die Selbstbeherrschung einer Person. Aspekte wie jener der Fantasie, der Kontaktfähigkeit und der intellektuellen Kontrolle lassen sich ebenfalls belegen«, sage ich.
    Jüre guckt ungläubig. »Wie das?«
    »Man geht von gegensätzlichen Begriffspaaren aus. Schau mal hier .« Ich stehe auf, nehme ein Bild von der Wand und lege es vor Jürg auf den Tisch. Das gerahmte Schriftstück zeigt ein Gedicht in verschnörkelten Federschwüngen.
    »Wie würdest du diese Schrift beurteilen? Als fließend, flott und geschmeidig oder als stockend, steif und brüchig?«
    »Das ist ja offensichtlich. Die Schrift wirkt flott .«
    »Eben. Du kannst es ja auch, Jüre. Schriftanalysen sind nicht so zufällig und subjektiv, wie sie von ihren Kritikern gerne dargestellt werden .«
    »Ja, schon. Aber wer sagt mir, dass ein Mensch so ist, wie seine Schrift aussieht? Ist dieser Zusammenhang überhaupt erhärtet ?« , zweifelt Jüre.
    »Wenn du die Handschrift als geronnene Spur einer Handlung verstehst, dann schon. Es müssen in der Schrift aber konstante Komponenten vorkommen. Diese sollten einen Zusammenhang mit den Variablen der Persönlichkeit aufweisen .«
    »Wie willst du so einen Zusammenhang beweisen ?«
    »Hier berührt meine detektivische Vorgehensweise die grafologische Analyse. Ich mache in beiden Fällen Befragungen. Ich verhöre die Person, und ich deute ihre Spuren .«
    Jüre überlegt. Dazu presst er die Lippen fest aufeinander und hält den Kopf schräg.
    »Hanspudi, das tönt gut: Schriften analysieren. Menschen durchschauen. Geil! Erkennst du einen Mörder an seiner Schrift ?«
    »Ja und nein. Eine eigentliche Mörderschrift existiert natürlich nicht. Mörderische Handschriften demgegenüber schon .«
    »Klar. Aber im Ernst. Denkst du, dass du bei zwei unterschiedlichen Handschriften jene des Mörders herausfinden könntest ?« , fragt Jüre.
    »Möglicherweise. Wenn eine haltlose, fahrige Schrift voller ungehaltener Energie einer kontrollierten, ausgewogenen Zeile gegenüberstände, wäre es den Versuch wert, die erste Schriftprobe dem Täter zuzuordnen. Allerdings gäbe es auch gute Gründe, hinter der zweiten Schrift den Mörder zu vermuten. Ein Mensch, der zwanghaft auf Ordnung erpicht ist, der eigene Gesetze um alles in der Welt durchdrücken will und mit einer gewissen Sturheit seine Spuren hinterlässt, wäre vielleicht auch in der Lage, seine Vorstellung von Ordnung und Gerechtigkeit mit einer Bluttat zu realisieren. Man müsste sich fragen: Handelt es sich um einen minutiös

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