Narrentod
Lippen.
Als sich nach einer weiteren Viertelstunde Eichenberger noch immer nicht blicken lässt, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Ich greife nach meinem Telefon, um beim Stadtpräsidenten nachzufragen. Just in dem Moment vibriert aber das Gerät, und Hauptmann Geissbühler meldet sich. Seine Stimme bebt. Ich merke sofort, dass wieder etwas Gravierendes vorgefallen sein muss.
»Jetzt hat es ihn auch erwischt«, teilt er kurz und bündig mit.
»Moment. Wollen Sie sagen, den zweiten … ?«
»Genau das«, bestätigt der Hauptmann.
»Was ist los ?« , flüstert Jüre dazwischen. Er muss warten.
»Was genau ist geschehen ?« , frage ich den Hauptmann.
»Kurz, nachdem Eichenberger den Kadettenball verlassen hat, ist er auf der Straße zusammengebrochen .«
»Tot?«
»Nein. Aber vermutlich hat er einen Hirnschlag erlitten. Er liegt jetzt auf der Intensivstation .«
Ich habe Mühe, zu glauben, was ich höre. Was ist das für ein merkwürdiger Zufall, dass auch noch der zweite Narr ausfällt?
»Kommt er durch ?« , frage ich besorgt.
»Das ist nach Auskunft des Oberarztes noch ungewiss. Hoffen wir das Beste .«
Ich schüttle ungläubig den Kopf und blicke dabei Jüre in die fragenden Augen.
»Immerhin. Klar ein Unfall und kein erneuter Mordversuch«, stelle ich beruhigt fest.
»Sieht auf Anhieb danach aus«, sagt der Hauptmann.
»Sie hegen Zweifel an der Unfalltheorie ?«
»Sagen wir es so: Ich bin auf alles gefasst«, meint Geissbühler vielsagend.
Ich lasse mir die schlechte Nachricht durch den Kopf gehen. Sie ist in ihrer Tragweite für unsere Ermittlungen momentan schwierig einzuschätzen. Die Ereignisse der letzten beiden Tage haben mich jedenfalls misstrauisch gemacht. Ich bin rasch bereit, das Schlimmste zu befürchten, ohne das Beste noch mit Hoffnung zu verbinden.
»Danke für die Mitteilung, Herr Geissbühler. Zufälligerweise haben wir hier nämlich auf Eichenberger gewartet. Er hätte uns über sein Verhältnis zu Beat Dummermuth Auskunft geben wollen .«
»Ist mir bekannt. Darum habe ich Sie ja angerufen, Herr Feller .«
Seine Antwort versetzt mich in Erstaunen. Woher weiß er von unserem Rendezvous? Ich fasse für Jüre das Gespräch kurz zusammen, unnötigerweise, wie er mir zu verstehen gibt. Er hat längst begriffen, worum es geht.
»Nur gut, dass die Auftritte des Fulehungs für dieses Jahr mehr oder weniger über die Bühne sind«, sagt er. Ich pflichte ihm bei.
»Jüre, angenommen, es war kein Unfall, sondern ein zweiter Mordversuch: Müssten wir dann nicht unsere Nachforschungen wieder vermehrt in Richtung Gesellschaftskritik lenken? Das Umfeld des Weissen Blocks träte erneut ins Zentrum einer mutmaßlichen Täterschaft. Ich glaube, ich werde mir nochmals diesen Rap zu Gemüte führen. Wo habe ich nur den Zettel hingesteckt? Hast du ihn ?«
»Nein.«
»Was genau war die Botschaft darauf ?« , frage ich. »Erinnerst du dich, Jüre ?«
»Ja. Aber von genauer Botschaft kann keine Rede sein. Fool dog, du fule Hung, piss off, I mach di chrum , oder so ähnlich. Machen wir uns vorerst keine unnötige Zusatzarbeit, Hanspudi. Warten wir erst ab, was das Spital zu berichten weiß. Wahrscheinlicher als die Mordhypothese bleibt jene des zufälligen Hirnschlags .«
»Das lassen wir uns am besten von einem Arzt erklären«, schlage ich vor.
Wir packen unsere Utensilien, verlassen das Schulhaus und steigen auf die Zweiräder. Bis ich meinen Motor gestartet habe, hat sich Jüre mit seinem Fahrrad bereits dem Gefälle des Schlossbergs anvertraut und sich aus dem Staub gemacht.
Kurz darauf treffen wir uns im Büro des Oberarztes. Der betont, nur allgemeine Auskünfte geben zu dürfen. Wir akzeptieren. Immerhin tönt es danach, dass Eichenberger überleben wird. Gott sei Dank. Leidet er tatsächlich unter zu hohem Blutdruck? Wir erfahren, dass ein Mensch mit entsprechender Prädestination durchaus ernsthafte Schwierigkeiten bekommen könnte. Ist anzunehmen, dass ihn die Verkörperung des Hofnarren konditionell an seine Leistungsgrenze gebracht hat? Ist der Hirnschlag nur eine Frage der Zeit gewesen?
Ich habe dem Stadtpräsidenten versprochen, noch vor dem Ausschiessetball einen mündlichen Zwischenbericht abzuliefern. Ich habe bereits zu wissen geglaubt, was ich ihm dabei berichten würde. Jetzt ist alles wieder ganz anders. Mist!
26
»Wir fahren zu mir .«
Ich halte es für notwendig, nach der Besprechung mit dem Oberarzt eine neue Situationsanalyse zu machen. Die Hoffnung auf eine
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