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Narrentod

Titel: Narrentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Jüre.
    »Gut, rekonstruieren wir nur Dummermuths Mord«, schlage ich vor.
    »Dummermuths Ermordung«, korrigiert Jüre.
    »Hirnen wir die Sache aus fünf verschiedenen Blickwinkeln durch: Einmal mit Barben-Bigler, mal mit Weibel, dann mit Eichenberger, mit Murer und zum Schluss noch mit Akert. Hab ich jemanden vergessen ?«
    »Den Stapi«, meint Jüre. »Wozu hat er gestern kurz vor vier den Kopf durch die Türe der Schlossbergschule gestreckt ?«
    »Keine Ahnung. Ich werde ihn fragen«, verspreche ich abwehrend.
    »Danach machen wir uns noch Gedanken über Eichenbergers Hirnschlag .«
    Ich erhebe mich, mache zwei Schritte zum brummenden Kühlschrank der Marke Sibir und entnehme ihm einen Teller mit schwitzendem Aufschnitt. Der Kälteregler steht auf Stufe zwei. Das reicht offensichtlich nicht. Ich drehe ihn auf drei und hoffe, dass der Apparat damit seinem Namen gerechter wird. Anschließend rolle ich ein Scheibchen Mortadella, stopfe es in mich und frage mit vollem Mund: »Hast du auch Hunger, Jüre ?«
    Er schüttelt angewidert den Kopf, als stellte mein Angebot eine Zumutung dar. Dann hebt er vielversprechend seine beneidenswert unversehrten Augenbrauen und atmet hörbar Seeluft ein.
    »Die weißen Zombies, hast du noch vergessen«, sagt er.
    »Stimmt. Aber die vermummten Rapper fasse ich vorläufig zu einer einzigen Gruppe zusammen. Oder kennst du eines der Bleichgesichter namentlich, Jüre ?«
    »Ja, klar. Da ist gibt es doch diesen spätpubertären Anarchisten .«
    »Du meinst den Yumbo ?« frage ich.
    »Genau.«
    »Yumbo als Mörder? Das kann ich mir nicht recht vorstellen. Er fliegt zwar immer wieder Mal auf die Nase, die er in Dinge steckt, die ihn nichts angehen. Ich denke aber, dass er den Riecher hat, auf Aktionen zu verzichten, die eindeutig nach Knast miefen .«
    »Tja, von den jungen Chaoten ist mir sonst keiner persönlich bekannt«, bedauert Jüre.
    »Spricht das für dich ?«
    »Nein, gegen die Chaoten. Sie verkehren nicht mit anständigen Bürgern wie mir .«
    Dazu macht er eine grimmige Miene. Ich lache laut heraus.
    »Ja, amüsier dich nur auf meine Kosten, Hanspudi. Aber falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: Nicht jeder Arbeitslose wird gleich asozial. Asozial finde ich höchstens das Salär, das du mir als Arbeitgeber ausstellst .«
    Das Lachen ist mir vergangen. Ich runzle die Stirn.
    »Bist du damit etwa unzufrieden? Willst du kündigen? Dann sag’s mir ins Gesicht«, fordere ich ihn heraus.
    Er errötet. Dann nimmt er einen Schluck Wasser und meint in resigniertem Tonfall: »So, los. Machen wir endlich weiter ?«

28
    Jürg Lüthi wundert sich. Oder macht er bloß auf Versöhnung?
    »Was bei dir so an der Wand herumhängt. Sind das etwa alles Diplome ?«
    »Schön wär’s. Nein. Das sind originale Schriftstücke«, antworte ich.
    »Ja, schon. Das seh ich. Aber wozu dienen die? Was steht darin ?« , fragt er.
    »Sie dienen der Dekoration. Ich hab sie alle selbst geschrieben«, gebe ich zu. »Alte Handschriften sind ein Hobby von mir. Kalligrafie ist eine meiner heimlichen Leidenschaften. Inhaltlich lehne ich mich an Vorlagen der jeweiligen Zeit. Gotische Urkunden als Vorlage für die Fraktur, barocke Dokumente als Vorlage für die Unziale, Vorlagen für die Antiqua, die Egyptienne, die Groteske, die Rotunda und so weiter.«
    »Wow. Von der Seite kenn ich dich ja noch gar nicht. Du bist doch immer wieder Mal für eine Überraschung gut, Hanspudi«, meint Jüre anerkennend.
    »Danke. Noch so ein Kompliment und ich verfasse dein Todesurteil in Fraktur«, scherze ich. Jüre promeniert ungerührt vor den gerahmten Schriftstücken wie in einem öffentlichen Museum. Dann bleibt er stehen und wendet sich nach mir um: »Betreibst du auch Urkundenforschung ?«
    »Nein. Mich interessieren mehr die ästhetischen Aspekte der alten Schriften. Wenn ich forsche, dann in Richtung Grafologie. Das bringt eher was für meine Arbeit in der Detektei«, antworte ich.
    »Worauf schaust du denn ?« , will Jüre wissen.
    »In erster Linie schaue ich auf den Gesamteindruck des grafischen Tatbestandes .«
    »Donnerwetter. Das tönt ja kriminell«, wundert er sich.
    »Ich weiß. Dann beachte ich die Verteilung der Schrift auf dem Papier. Wie viel Rand links? Wie viel Rand rechts? Oben? Unten? Was für ein Zeilenabstand? Wie groß sind die Buchstaben im Verhältnis zueinander und zum Format des Blattes? Die Handschrift selbst wird in drei Zonen unterteilt: Ober-, Mittel- und Unterzone. Dann wird auch ihre

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