Narrentod
Sorgen, Rüfe. Gemeinsam werden wir Frau Wenger schon abservieren .«
Da mischt sich mein Assistent mit der maliziösen Bemerkung ein: »Wenn ihr euch da nur nicht verrechnet .«
»Lass das mein Problem sein«, sage ich. Ich ertrage Jüres Zweifel im Moment schlecht. Er scheint aber nicht zu bemerken, dass ich gereizt bin. Jedenfalls fragt er völlig unpassend, unnötig und unbefangen: »Was soll das darstellen ?«
»Was das ?« , fahre ich ihn an.
»Da. Deine moderne Kunst.«
»Jüre, ich muss jetzt die Pressekonferenz vorbereiten und habe keine Zeit, mit dir eine kunsthistorische Debatte zu führen .«
»Was man versteht, kann man für gewöhnlich in einem einzigen Satz erklären. So viel Zeit muss sein. Was stellt dieses Bild dar ?« , insistiert er.
Ich kontere: »Nervensäge. Sag du mir in einem Satz, wie ich die Wenger abserviere .«
»In Ordnung«, antwortet mein Assistent ganz ruhig, als hätten wir soeben einen fairen Deal abgeschlossen. »Also, Hanspudi. Das Bild?«
»Das ist eine Reproduktion eines Stilllebens von Georges Braques .«
»Aha. Und so was gefällt dir ?«
»So was passt zu meiner Arbeit als Detektiv«, finde ich.
Jüre blickt mich fragend an.
»Was siehst du? Wie sieht der Tatort aus? Beschreib doch einfach mal das Bild«, fordere ich ihn auf.
Er spielt mit. »Als Erstes fällt das Format auf. Es handelt sich um ein hochformatiges Oval .«
»Voilà. Damit unterscheidet es sich von Tausenden anderer Werke. So viele ovale Bilder triffst du im 20. Jahrhundert nämlich nicht an .«
»Dann erkenne ich rechts eine zerstückelte Geige oder Gitarre. Ohne Saiten.«
»Es ist eine Geige. Das Bild heißt Verre et violon . Es befindet sich übrigens in der Schweiz. Du kannst dir das Original im Kunstmuseum Basel anschauen .«
»Danke für den Tipp. Momentan habe ich noch zwei, drei dringendere Bedürfnisse. Sag mal, da soll sich noch ein Glas auf dem Bild befinden ?«
»Klar. Gleich links neben der Geige .«
Jüre neigt sich erneut zum Bild, als wäre er kurzsichtig. Dann wendet er sich zu mir um und hebt die Augenbrauen.
»Das stellt ein Glas dar ?«
»Genau«, bestätige ich.
Aber er schüttelt den Kopf. »Nein, ich sehe da kein Glas. Es ist eindeutig ein erigierter Penis .«
»Sieht ähnlich aus, da hast du recht . Und die Geige erinnert an den Körper einer Frau, oder ?«
»Du meinst, Braque hat hier bewusst mit der Polarität zwischen männlichen und weiblichen Formen gespielt ?«
»Vermutlich. Was siehst du sonst noch ?« , frage ich.
»Die Andeutung eines runden Tisches. Da unten, eventuell ein wulstiges Tischbein. Aber sonst?«
»Sonst?«
»Auffallend ist das viele Holz im Bild. Denkst du, dass es echt ist ?« , fragt Jüre.
»Das Holz? Das müsste man vor dem Original beurteilen. Ich glaube, mich erinnern zu können, dass es sich um collagiertes Papier mit Holzstruktur handelt«, antworte ich.
»Die Farben wirken etwas eintönig, finde ich. Nur Grau, Beige, Schwarz und Braun.«
»Das steht dir frei, es langweilig zu finden .«
»Nicht das Bild an sich. Nur seine Farbigkeit. Die Sache mit den Geschlechtern hingegen gefällt mir«, räumt Jüre ein.
»Die Farbigkeit ist typisch für den Stil. Es handelt sich um ein Werk des analytischen Kubismus .«
»Wow. Worüber du alles Bescheid weißt, Hanspudi. Aber was hilft dir all dieser Wissensballast? Bist du darum reicher? Glücklicher? Schöner?«
»Sind das deine drei Kriterien eines erfüllten Lebens? Nein, dieser Ballast führt nicht zum Palast. Aber, er hilft mir vielleicht, den Thunermörder zu finden .«
»Wie meinst du das ?«
»Der analytische Kubismus illustriert mein Vorgehen bei der Lösung eines Falls«, erkläre ich.
Jüre wundert sich erneut.
Ich präzisiere. »Ein Mörder bringt sein Opfer um. Ein Maler malt sein Bild. Beide haben also ein Motiv .«
Mein Assistent runzelt die Stirn. »Hat der Maler dann nicht automatisch zwei ?« , fragt er.
»Warum?« Nicht immer bin ich den Gedankensprüngen meines jugendlichen Mitdenkers gewachsen.
»Nun, er hat erstens einen Grund, ein Bild zu malen und zweitens ein Bildmotiv. Der Mörder hat nur das Mordmotiv .«
Ich bin verunsichert und frage zurück: »Willst du mir jetzt meine eigene Theorie erklären ?«
»Nein, nein. Mach nur weiter«, beschwichtigt er.
»Das Bildmotiv zerfällt im analytischen Kubismus in splitterartige Einzelteile. Und das Opfer?«
»Zum seelenlosen Leichnam«, antwortet Jüre umgehend.
»Richtig. Die anschließende
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