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Narrentod

Titel: Narrentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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der Dünen zum Auto gerannt sein. Für mich? Offensichtlich. ›Willst du mitfahren ?‹ , fragte sie auf Französisch und stellte sich vor: Marie-Josette. Eine Belgierin. Zurzeit allein in Europa unterwegs. Auf der Suche nach einem Fingerzeig, soweit ich verstanden hatte. Sie habe in Antwerpen ihre Ausbildung als Sozialarbeiterin abgebrochen, eine langjährige Beziehung aufgelöst, das Notwendigste in ihren klapprigen Fiat gepackt und sei vor einem Monat einfach losgefahren, ins Euroland.
    Ich erzählte ihr, dass mein Urlaub mit dem heutigen Tag zu Ende ging und ich morgen in die Schweiz zurückkehren müsse. ›Wie reist du denn zurück ?‹ , wollte sie wissen.
    ›Mit dem Zug. Via Arles, Grenoble, Genf nach Thun.‹ Von Thun hatte sie noch nie gehört.
    Spontan anerbot sie sich, mich in ihrem Wagen mitzunehmen. Ich dachte, bis zum Campinglatz. Sie meinte aber, bis vor meine Haustüre im Berner Oberland. Meine Überraschung konterte sie mit der Bemerkung, dass sie ohnehin beabsichtige, in die Schweiz weiterzureisen. Von wegen Euroland! Obschon ich normalerweise eher zu helvetischem Misstrauen neige, als an unverfängliche Spontaneität zu glauben, willigte ich bedenkenlos ein. Ich vertraute meinem Bauchgefühl. Oder lag das Gefühl tiefer? In der Hose?«
    »Das musst du nicht mich fragen, Jüre. Deine Libido ist schließlich deinem Über-Ich untergeben«, antworte ich.
    »Nicht untergeben, unterlegen. Mein Über-Ich stand außer Betrieb. Ich funktionierte rein gegenwärtig. Es kam mir nicht mal in den Sinn, irgendwelche Bedingungen für ihre Übersiedlung in die Schweiz zu stellen. Im Gegenteil. Es war Marie-Josette, die Auflagen machte .«
    Ich schaue Jüre ungläubig an. Dass in ihm ein hoffnungsloser Romantiker steckt, ist mir bekannt. Dass er aber zum kopflosen Narren wird, wenn er sich in ein Mädchen verguckt, wundert mich. Seit der Schulzeit schon hat der hübsche Bursche Erfahrungen mit Verehrerinnen machen können. Seit je her hat er die Wahl. Noch nie zuvor aber scheint er dabei echte Verliebtheit empfunden zu haben. Anders lässt sich sein Verhalten nicht erklären. Völlig ungeschützt und unerwartet hat ihm Amor den Pfeil ins blutjunge Herz geschossen.
    »Ihre einzige Bedingung war ein wöchentliches Gastrecht am Thunersee«, fährt er mit seiner Geschichte fort. »Das wollte ich ihr noch so gerne gewähren. Ich freute mich vorbehaltlos. Nicht der geringste Argwohn, dass sie vielleicht pleite war und einen solventen Begleiter suchte. Kein Gedanke daran, dass sie mich unterwegs berauben, auf einer entlegenen Passstraße aussetzen oder mir in Thun auf den Geist gehen könnte.
    Bevor wir am nächsten Tag in Richtung Cannes abfuhren, verbrachten wir eine erste gemeinsame Nacht, die sämtliche Eskapaden im lauschigen Bambushain in den Schatten stellte. Die Dualität zwischen Quantität und Qualität wurde himmelhoch zugunsten von Marie-Josette entschieden.
    Aber war sie wirklich das aufgestellte, liebenswürdige Mädchen, als das sie mir im Taumel der sinnlichen Verzückungen erschien? Hätte ich mich nicht besser um die Dualität zwischen ihrer Vertrauenswürdigkeit und meiner Vertrauensseligkeit kümmern sollen ?«

32
    »Hanspudi, es gibt Momente im Leben, da ist einem alles egal. Sei es aus lauter Glück oder aus bodenlosem Frust. Ich hätte Marie-Josette damals ohne die geringsten Bedenken meinen Pass, die Kreditkarte und die Hausschlüssel ausgehändigt, hätte sie mich nur dazu aufgefordert«, erzählt Jüre mit leuchtenden Augen. »Im Nachhinein kann ich fast nicht glauben, derart gutgläubig gewesen zu sein. Dennoch. Hätte sich damals Misstrauen eingemischt, hätte ich wohl die Liebe meines Lebens verpasst. Oder hätten sich unsere Wege später nochmals gekreuzt? Hätten wir eine zweite Chance erhalten? Hätte sich unser gemeinsames Schicksal so oder so verwirklicht ?«
    Ich hebe hilflos die Schultern.
    Er fährt fort und erspart mir eine Antwort. »Wir kamen nicht weit. Schon nach kurzer Zeit setzte meine Angebetete den Blinker und parkte unmittelbar neben der Hauptstraße auf einem engen Rastplatz, der höchstens drei Wagen Raum bot. Marie-Josette stellte den Fiat mitten auf die freie Kiesfläche. Ich dachte mir, es handle sich um einen Pinkelhalt. Aber halt. Da hatte ich mich gründlich getäuscht. Kaum hatte sie das Motorengeräusch erstickt, schaute sie mir mit weichem Blick in die Augen und legte zärtlich den rechten Arm um meinen Hals. Ich zog ihren Oberkörper zu mir herüber, und wir

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